Dienstag, 4. August 2015

Warum autonome Autos niemals Realität sein werden

Seitdem Google 2014 den ersten Prototypen seines wirklich autonom fahrenden Autos - also ohne Lenkrad und Pedale - vorgestellt hat, ist die Gemeinde der Fortschrittsgläubigen elektrisiert: Natürlich sind autonome Autos viel besser als die, die von unbeherrschten, fehleranfälligen und unberechenbaren Menschen gesteuert werden. Es gibt zwar noch keinen einzigen Meter öffentliche Straße auf dem Planeten, in dem ein Auto ohne menschliche Besatzung und deren Möglichkeit zum manuellen Eingriff fahren darf. Aber das hindert die Fanboys nicht, sich schon ganz fest Gedanken zu machen wovon zum Beispiel die Versicherungswirtschaft leben soll, wenn Autos keine Unfälle mehr bauen.

Allerdings gibt es einen einfachen Grund, weshalb sich autonom fahrende Autos nie durchsetzen werden: Fahrradfahrer. Diese Einsicht traf mich wie ein Donnerschlag, als ich neulich mit meinem Auto an der Paul-Heyse-Straße Ecke Schwanthaler Straße stand. Das sind, wer die Straßen nicht kennt, große, vierspurige Hauptstraßen, und die Paul-Heyse ist eine der wenigen Straßen in der Innenstadt, die die Gleise zum Münchner Hauptbahnhof unterquert. Bei schönem Wetter fahren dort, neben immer dichtem Autoverkehr, auch viele Fahrradfahrer.

Dummerweise gibt es nur auf einer Seite einen Fahrradweg, weshalb die, die von Norden nach Süden fahren, sich ab der Ecke Bayerstraße todesmutig auf die Fahrspur wagen. Dieser Fahrradverkehr, der natürlich je nach Wetter auch stark schwankt, war bei der Planung der Ampelzeiten an der Kreuzung Paul-Heyse / Schwanthaler nie eingeplant, weshalb jeder Auofahrer, der an der Ampel rechts abbiegen will, nicht nur auf die Fußgänger aufpassen muss, sondern auch auf die fahrradfahrer, die in beachtlicher Geschwindigkeit rechts an den wartenden Autos vorbeifahren. Ecken wie diese gibt es zu Dutzenden in der Stadt, und wenn man sich nicht etwas beeilt, dann kommt man dort als Autofahrer nicht ums Eck. Die Folgen sind schon jetzt deutlich zu sehen: Die geradeaus fahrenden Fahrradfahrer verhindern, dass die Autofahrer in vernünftiger Frequenz rechts abbiegen, und so kommen selten mehr als zwei, drei Autos in einer Ampelphase über die Kreuzung. An dieser Stelle ist das doof, denn damit ist eine der beiden Fahrspuren faktisch blockiert, die andere überlastet, der Dauerstau programmiert. Bösmeinenden Menschen glauben, dass diese Nicht-Verkehrsregelung mit Absicht passiert um Autoverkehr in München so unattraktiv wie möglich zu machen. Offiziell wird das kein Mitarbeiter des Kreisverwaltungsreferates je zugeben, denn das könnte auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Was hat das alles mit selbstfahrenden Autos zu tun? 

Aus der misslichen Überforderungslage hat sich ein merkwürdiges Kamikaze-Duellverhalten zwischen Fahrradfahrern und Autofahrern entwickelt. Der Fahrradfahrer hält einfach drauf, als habe er das ewige Leben, der Autofahrer verliert irgendwann die Geduld und schneidet dem Fahrradfahrer die Spur ab. Will man als Autofahrer das Rechtsüberholtwerden verhindern und fährt an der Ampel hart rechts an den Bordstein, ficht das die meisten Fahrradfahrer nicht an, sie fahren einfach auf dem Fußweg weiter. In den grimmigen Gesichtern der Radler kann man förmlich den Gedanken lesen: "Du in deiner stinkenden Kiste, dann fahr mich halt über den Haufen, wenn du dich traust." Über vielen Autos schweben dagegen Denkblasen, in denen Sätze stehen wie "So, Burschi, mein Leben ist es ja nicht, jetzt musst du eben tapfer sein."

Und das selbstfahrende Auto?

Die Befürworter des Autonomous Car führen ins Feld, dass Menschen ja doch nur Unfälle bauen, weil sie unbeherrscht sind und gegen Verkehrsregeln verstoßen. Ein autonomes Auto, so viel ist sicher, wird immer defensiv fahren und es nie einfach drauf ankommen lassen, dass der andere zurücksteckt. Und damit wird es niemals über eine Kreuzung wie die beschriebene kommen, weil sich immer irgendwas in der Gefahrenzone rund um das Auto befindet. Man muss sich das so vorstellen wie ein Fahranfänger in einem Fahrschulauto, der morgens in der Rush Hour an einer engen Einmündung die Vorfahrt beachten und dann einbiegen muss - und sich nicht traut. Es gibt nur einen Unterschied: Bei einem Fahrschulauto geht jeder von einem unberechnebaren Nichtskönner am Steuer aus, bei einem autonomen Auto dagenen von einem Computer, der so programmiert ist, dass er eher eine Vollbremsung hinlegt, als irgendwen zu gefährden. Man darf verbindlich davon ausgehen, dass die Fahrradfahrer in jeder Großstadt nicht lange brauchen werden, bis sie diese Eigenschaft des Computers zu ihrem Vorteil ausnutzen. Sie fahren schon heute ohne Schulterblich auf jede Straße - und vertrauen drauf, dass die, die sie für ihre feinde halten, sie schon nicht über den haufen fahren werden. Wäre ja schade um den Schadensfreiheitsrabatt.

Ein autonom fahrendes Auto wird also jeden Zweikampf mit einem Fahrrad verlieren. Und damit wird es in der Stadt nicht vorankommen. Überhaupt nicht. Und wenn dann die dritte Ampelphase vorbei ist und das autonome Auto immer noch nicht abgebogen ist, dann wird vielleicht einer von hinten kommen und ihm ein Rücklicht eintreten.

Und spätestens dann wird es auf Not-aus gehen.