Samstag, 30. April 2011

Die China-Frage

Was ihr hier seht, ist ein Camcorder mit einer Auflösung von 720x480 Pixel und einer Aufnahmefrequenz von 30 Bildern pro Sekunde. Damit erreicht diese Kamera nicht ganz die PAL-TV-Norm, denn die geht von Bildern in einer Auflösung von 702x576 Bildpunkten aus, allerdings nur 25 davon in der Sekunde. Also, ihr seht hier eine digitale Videokamera, die fast Fernsehnorm erreicht, die in Farbe und mit Ton aufnimmt. Sie speichert ihr Signal auf Standard-Mikro-SHDC-Speicherkarten mit einer Kapazität von maximal 128 GB, das entspricht dann ungefähr einer Aufnahmelänge von eineinhalb Tagen. Weil allerdings der Akku in der Kamera nur 70 Minuten hält, ist eine so hohe Speicherkapazität eigentlich unsinnig, eine 4GB-Karte tut es auch, die reicht für eine Stunde. Mit 9,50 Euro ist solch eine Speicherkarte immer noch teurer als die Kamera selbst. Die kostet nämlich bei eBay nur 9,22 Euro - inklusive Versand, versteht sich.

Wie kann das sein?

Versuch macht kluch, also habe ich mir so eine Kamera bestellt. Genauer gesagt: Ich habe zwei genommen, man weiß ja nie, vielleicht ist ja eine kaputt. Nach gehöriger Wartezeit von rund drei Wochen traf ein kleiner, gepolsterter Versandumschlag bei mir ein, er enthielt einen Beutel aus Luftfolie, darin steckten zwei Kameras, jede mit einer kleinen Kette und einem Schlüsselring dran (an dieser hier habe ich den Ring abgemacht), außerdem zwei USB-to-Mini-USB-Adapter und zwei winzig kleine Faltblätter mit der Bedienungsanleitung darin. Der Zoll ließ die mikroelektronischen Wunderwerke ungehindert passieren, schließlich hatten die Absender auf der Zolldeklaration wahrheitsgemäß angegeben, der Umschlag enthalte Schlüsselanhänger.

Die Inbetriebnahme ist simpel: Micro-SHDC-Karte kaufen (Vorsicht vor Class-4-Fälschungen, also lieber im lokalen Fachhandel), Karte einstecken, Kamera mit USB-Kabel an einen PC hängen und den Akku aufladen. Derweil die Bedienungsanleitung zu entziffern versuchen, die in ungefähr fünf Punkt großer Schrift gedruckt und in so lausigem Englisch verfasst ist, dass man sie nur rudimentär versteht. Nicht nur die Anleitung enthält Fehler: Es wird von einer beiliegenden CD-ROM geschrieben, die einen Treiber enthalte, der aus der Kamera eine Webcam machen würde - die CD lag nicht bei, ein im Netz gefundener Treiber funktionierte nicht. Und der beiliegende USB-to-Mini-USB-Adapter verweigerte ebenfalls seinen Dienst, aber ein Haushalt, in dem nicht mindestens ein Mini-USB-Kabel herumliegt, dürfte heute vermutlich nur noch bei den Amish zu finden sein. Ich nahm ein Kabel von meiner Canon-Digitalkamera, klappt einwandfrei.

Die Aussage der Bedienungsanleitung lässt sich in knappen Worten zusammenfassen: Von den vier Knöpfen auf der Oberseite des Gehäuses sind die beiden hinteren (an der Öse für den Schlüsselring) ohne Funktion. Die beiden vorderen steuern die gesamte Kamera. Mit Druck auf den hinteren von den beiden Knöpfen schaltet man die Kamera auf Standby - eine winzige gelbe Leuchtdiode beginnt zu leuchten. Drückt man den vorderen Knopf einmal kurz, geht die LED einmal kurz aus, die Kamera hat ein Standbild gemacht. Drückt man den Knopf länger, blinkt die LED dreimal schnell - die Videoaufzeichnung beginnt. Ein weiterer Druck auf diesen Auslöseknopf beendet die Videoaufnahme, ein Druck auf den anderen Knopf schaltet die Kamera wieder aus. Mehr muss man nicht wissen.

Ich besitze insgesamt vier Handys, die Video-Aufnahmen machen können. Außerdem kann meine Canon Powershot A590IS Videos aufnehmen. Was soll ich also mit einer chinesischen No-Name-Kamera für 9,22 Euro? Nun, vor zwei Jahren startete ich einen Versuch, damit ein Video von einer Motorradfahrt zu machen. Dabei betrieb ich beträchtlichen Aufwand - und bekam kümmerliche Resultate. Auf den Bildern war vor lauter Vibrationen kaum etwas zu sehen. Außerdem konnte ich mir vorstellen, dass eine Kamera mit Motorzoom und anderen beweglichen Teilen auf die Dauer den Vibrationen eines Motorrades nicht gewachsen sein würde. Diese billigen Keyring-Kameras, hörte ich, machen keinen schlechten Job. Und wenn eine kaputtgeht - macht ja nix, kostet ja kein großes Geld. Also habe ich meine Kamera aufgeladen und an die Frontverkleidung meiner BMW R1100GS gesteckt. Es gibt da so einen Spalt zwischen Windschild und Frontscheinwerfer, da passt die Kamera genau rein. Und das sind die ersten Resultate:


Wenn man sich überlegt, dass die Keyring-Camera nur ein Zehntel meiner Canon kostet, sind die Bildergebnisse schockierend gut. Okay, wer den Ton anhört, der merkt, dass die automatische Aussteuerung offenbar mit dem Fahrtwind völlig überfordert ist - sobald das Motorrad etwas schneller wird, hört man kaum noch was. Und bei ca. 2:58 beginnt eine Etappe, wo ich etwas schneller fahre, hier beginnt das Bild zu wobbeln. Ich weiß noch nicht, ob das an den Vibrationen oder an Störstrahlung aus der Lichtmaschine liegt, aber, hey, wir reden von 9,22 Euro. Mit Versand.

Das führt mich zur chinesischen Frage. Nicht "Wie machen die das bloß?", sondern "Warum machen die das bloß, Und warum machen sie das nicht richtig?" Nach westlichen Maßstäben wäre es schon schwer, für 9,22 Euro brutto die Fertigung eines Plastikklötzchens, seine Verpackung, den Versand nach Deutschland, die eBay-Gebühren und die Steuern zu bezahlen und dabei noch etwas zu verdienen, aber die Chinesen bauen auch noch eine Digital-Videokamera ein, die noch nicht einmal richtig schlecht ist. Andererseits machen sie alles falsch, was geht: Keine Rechnung dabei, die Bedienungsanleitung ist ein Witz, die Hälfte aller Knöpfe funktioniert nicht, das Zubehör fehlt oder ist kaputt. Was wäre, wenn diese Kamera statt 9,22 Euro 30 Euro kosten würde, komplett mit ordentlicher Bedienungsanleitung, verschenkfähiger Verpackung, Treiber-CD (oder wenigstens Download)? Ich hätte sie wohl dennoch gekauft, denn für sich betrachtet ist das Ding ziemlich prima.

Versteh' einer die Chinesen...

Sonntag, 3. April 2011

Dolce Fa niente

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So kann ein Sonntag auch aussehen: BMW-Koffer gepackt (Lästerei von der Prinzessin: "Wie lange brauchst du eigentlich, um zwei solche kleinen Köfferchen zu packen?"), geniale Route am Computer fürs Navi zusammengeklickt, früh aufgestanden und dann die BMW gesattelt - auf zum Gardasee. Jetzt, 415 km und ein halbes Dutzend Pässe später, sitze ich in Riva del Garda vor meinem Abendessen - Pizza della Casa - und weiß, was ich heute getan habe.  Morgen geht's schon zurück. Schade, ich könnte mich ans Nichtstun gewöhnen.

Posted via email from frank kemper's posterous