Sonntag, 14. Juni 2009

Ich weiß genau, wo Du bist!

Überwacht werden - für viele Menschen eine unheimliche Vorstellung. Wer möchte schon, dass sein Chef, sein Lebensabschnittsbegleter oder seine Mutter immer wissen, wo er sich aufhält? Wer ein Handy mit sich herumträgt, der ist grundsätzlich ganz gut zu orten. In Innenstädten beträgt der Radius, innerhalb dessen ein Handy geortet werden kann, wenige hundert Meter. Auf dem Land ist die Messungenauigkeit größer, weil die Funkzellendichte geringer ist. Dennoch gibt es Anbieter, die Eltern eine Ortungs-Software verkaufen, mit der sie die Handys ihrer Sprösslinge orten können. Selbst diese Anwendung kann man durchaus kritisch sehen: Müssen Eltern ihre Kinder jetzt elektronisch überwachen, nur weil das technisch möglich ist? Der Einwand, eine Handyortung könnte im Fall einer Entführung helfen, taugt bei Lichte betrachtet wenig. Wohl kaum ein Kindesentführer wird so dumm sein, das Handy seines Opfers zu übersehen. Vielleicht wirft er es weg, vielleicht schaltet er es auch einfach aus. Und einen Menschen gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen zu überwachen, das hat ganz eindeutig etwas von 1984.

So gesehen, ist Google Latitude wirklich von Übel.

Google Latitude ist eine Ergänzug zu Google Maps for Mobile. Google Maps for Mobile ist die Handy-Ausgabe von Google Maps - und das Programm ist so genial, dass in meinen Augen allein die Existenz von Google Maps for Mobile Grund genug wäre, sein Simpel-Handy wegzuschmeißen und sich ein Smartphone mit Internet-Zugang und GPS-Empfänger zu kaufen. Es zeigt einem an, wo man ist, hilft einem bei der Suche nach Adressen, zeigt an, wo in der Nähe die nächste Pizzeria ist und vieles mehr. Wie in der Desktop-Variante kann man bei Maps for Mobile zwischen einer Karten- und einer Sattelitenbilddarstellung umschalten - dann zeigt es einem auch die Lage von Feldwegen in der Pampa, die in keiner Karte verzeichnet sind. Google Maps for Mobile ist eine von diesen "Wow"-Anwendungen.

Und jetzt Latitude. Google Latitude gibt's im Moment nur für Handys, die Desktop-Variante von Google Maps muss ohne diese Erweiterung auskommen. Mit Latitude kann man immer sehen, wo die Freunde gerade sind - und die können es auch sehen. Auf dem Google-Pressebild oben links ist das ganz gut dargestellt: Eine coole Clique von jungen Leuten lebt in einer faszinierenden Stadt, nämlich New York, und mit einem Blick auf das Handy kann man jetzt sehen, dass Steve gerade in der Nähe ist, also schnell anrufen, und man kann sich in der neuen In-Bar treffen. So etwa.

Technisch funktioniert das so: Wer an Google Latitude teilnehmen will, braucht ein Smartphone, auf dem Google Maps läuft. Das Smartphone muss außerdem in der Lage sein, seine Position entweder durch Auswertung der Funkzelle oder über einen GPS-Receiver zu ermitteln. Jeder Latitude-Teilnehmer muss sich mit einem Google-Account einloggen. Dann kann man beginnen, die Gmail-Adressen seiner Freunde einzugeben. Jeder Freund bekommt eine E-Mail, in dem er um Erlaubnis gebeten wird, dass seine Position einem bestimmten Teinehmer angezeigt wird. Sind alle Genehmigungen erteilt, übertragen die Smartphones, auf denen Google Latitude läuft, ihre Position regelmäßig über das Internet an den Google-Server. Er sorgt dafür, dass die Standorte von Latitude-Teilnehmern ihren Freunden angezeigt werden, wenn sie ihrerseits Google Maps auf ihrem Smartphone laufen lassen. Schließen sie die Anwendung, bietet ihnen das Programm an, im Hintergrund weiterzulaufen und die Positionsdaten auch weiterhin zu übermitteln. Im Moment ist das System noch beta, deshalb funktioniert bei mir zum Beispiel die Statusmeldung nicht: Eigentlich kann man zu seinem Symbol einen kurzen Status dazutippen, etwa "in Eile" oder "habe Hunger", aber das klappt bei mir nicht so recht.

Grundsätzlich funktioniert Latitude, aber was fängt man damit an?

Die Vorstellung, einen überbordenden Kreis aus Freunden zu haben, mit denen man andauernd "connected" sein will, erscheint Menschen, die die 30 überschritten haben, als weltfremd. Menschen, die auf Facebook mehrere tausend "Freunde" in der Liste stehen haben, dokumentieren damit nur eins: Dass es grundsätzlich unterschiedliche Ansichten darüber gibt, was man unter einem Freund versteht und was nicht. Auf Xing habe ich rund 200 Kontakte, auf Facebook sind es jetzt knapp 40 "Freunde", Auf Twitter "followe" ich etwa 40 Leuten, mir folgen rund 160 "Followers". Echte Freunde habe ich vielleicht zehn. Und selbst bei diesen zehn echten Freunden, meiner Frau, meinen Eltern wäre es mir eigentlich nicht recht, dass sie immer genau wissen, wo ich bin. Deshalb finde ich an Google Latitude am wichtigsten, dass man es abschalten kann, und zwar global und selektiv. Man kann auch manuell einen Standort eingeben, zum Beispiel, wenn das GPS des Telefons in geschlossenen Räumen nicht funktioniert - oder wenn man nicht genau angeben will, wo man ist. Und man kann einzelne Freunde von der Anzeige ausschließen, ganz nach Belieben.

Es bleibt also persönliche Entscheidung eines jeden Latitude-Teilnehmers, ob er möchte, dass jemand sieht, wo er sich gerade aufhält. Wenn man dies berücksichtigt, dann fallen einem zahlreiche praktische Einsatzmöglichkeiten ein: Motorradfahrer in einer Gruppe könnten zum Beispiel sich gegenseitig freischalten und hätten so einen Überblick darüber, wo die einzelnen Tourteilnehmer gerade stecken. Bei gemeinsamen Einkaufsbummeln könnten Paare sich trennen (sie in den Schuhladen, er zu den Handys) und dann leichter zueinanderfinden. Und bei gewollten Treffen von Freunden ist Google Latitude bestimmt praktisch. Bei der Benutzung sollte man bedenken, dass der permanente Betrieb von Google Maps auf dem Handy den Akku ziemlich schnell leersaugen kann, außerdem werden Datenmengen übertragen, die ins Geld gehen können, wenn man keinen Volumen-Vertrag hat. Wer Bedenken hat, dass Google durch Latitude noch mehr über einen erfährt, als der Konzern ohnehin schon weiß, sollte sich eventuell extra dafür einen Google-Account mit Fake-Anmeldedaten zulegen, dann dürfte der Erkenntnisgewinn in Sunnyvale recht übersichtlich sein.

Das wichtigste ist aber: Wenn sich alle darauf verständigen, dass Google Latitude normalerweise ausgeschaltet ist und nur dann aktiviert wird, wenn es einen speziellen Anlass dafür gibt, dann ist es ein praktisches Tool - und kein 1984 für Arme.

1 Kommentar:

  1. Schöner Artikel - eines ist wichtig zu verstehen: Google Latitude muss vom Nutzer wissentlich aktiv eingeschaltet/aktiviert werden, damit es funktioniert. Es ist NICHT standarmässig "eingeschaltet" wie man evtl nach lesen des Artikels meinen könnte. Darum ist es auch kein Spionage Tool, sondern ein nützlicher Service für Nutzer die das wünschen...

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