Samstag, 23. Juli 2011

Einmal Norden und zurück: Der Recall


(In der letzten Woche war ich mit dem Motorrad unterwegs und habe immer wieder kurze Nachrichten mit meinem Smartphone geschickt. Das hier ist der komplette Reisebericht)
Vor zwei Jahren war ich mit meiner Yamaha TDM 850 in Norddeutschland, bisschen fahren, Verwandte besuchen. In diesem Jahr ist ein Revival geplant – mit einem anderen Motorrad (’97er BMW R1100GS), weniger Verwandte besuchen, mehr fahren. 2009 endete meine Tour damit, dass ich von meinem Bruder in Springe aus 600 km nonstop nach München fahren musste – im Dauerregen. Das will ich nicht noch einmal erleben, deshalb besuche ich in diesem Jahr meinen Bruder nicht – und habe für die Rückfahrt eine Passage von Hamburg nach München mit dem Autoreisezug gebucht.
Tag 1: München bis Eisenach
Meine Nordlandreise 2011 beginnt, wie der Trip 2009 aufhörte: Im Dauerregen. Nachdem Fahrer und Gepäck luft- und wasserdicht verpackt sind, geht es auf die A96, gleich bei uns um die Ecke. Nur wenige Kilometer später gerate ich in den Morgen-Stau auf der A92 (Eschenrieder Spange) und wedele unerschrocken zwischen den Autos durch. Erstaunlich viele unterstützen mein Unterfangen, indem sie Platz machen. Vermutlich haben sie Mitleid mit der armen Sau, die da durch den Regen fährt. Motorradfahren auf der Autobahn ist schon nicht besonders spannend, bei Regen ist es aber einfach nur ätzend. So ab 120 km/h fängt der Wind an, das Visier freizublasen, aber das ist schon eine ziemliche Herausforderung, bei dem Mistwetter. Auf der A9 bei Allershausen lerne ich eine neue Spezialität der bayerischen Straßenbauer zur Steigerung des Adrenalinspiegels kennen: Hier besteht die Fahrbahndecke aus mehreren Streifen, die jeweils mit einer längs verlaufenden Bitumen-Fuge verbunden sind. Wenn man da mit einem Motorrad bei Regen drüberfährt, entwickelt das Hinterrad ein erstaunliches Eigenleben. Dummerweise verläuft diese Fuge sowohl auf der rechten als auch der mittleren Spur jeweils in Fahrbahnmitte, also außermittig fahren. Auf der rechten Spur landet man dann unweigerlich in einer der beiden Spurrillen, in denen bei Starkregen das Wasser steht. Also Augen auf im Straßenverkehr.
Bei Greding, ich bin jetzt seit gut einer Stunde unterwegs, überlege ich das erste Mal, ob ich nicht die bereits bezahlten 186 Euro für den Autoreisezug einfach sausen lasse und umkehre. An der Autobahnraststätte Nürnberg-Feucht ändert sich die Situation: Als ich zum Tanken abfahre, regnet es kaum noch, also Sprit fassen und weiter. Rund 20 Kilometer hinter Nürnberg fahre ich von der Autobahn ab – jetzt beginnt der Urlaub!
Bei Schnaittach fahre ich in die Fränkische Schweiz. Egloffstein, Ebermannstadt, Moggast heißen meine ersten Stationen. Die Strecke ist einfach zauberhaft, sattes Grün überall, zwischendurch blitzen immer wieder schroffe Felsen aus den sanften Hügeln, und jedes Dorf bemüht sich, noch süßer auszusehen als das zuvor. Die Regenjacke steckt schon längst wieder in ihrer Tasche. In Gößweinstein mache ich die erste Rast und sitze vor einem Gasthof in der Sonne. So kann das bleiben.
Meine sorgfältige Reiseplanung macht sich bezahlt: Mein Navi (TomTom Rider 2) leitet mich zuverlässig durch die mir völlig fremde Gegend und schickt mich durch immer schönere Straßen. Ich kann mich völlig auf das Fahren konzentrieren und verpasse selbst kleinste Abzweigungen nicht. So komme ich hurtig voran und bin gegen 13 Uhr an der Grenze nach Thüringen bei Nordhalben. Ein großes Schild erinnert an die Grenzöffnung 1989, ansonsten merkt man erst einmal nicht, dass man ab jetzt durch die Ex-DDR fährt. Erst in den Dörfern werden Unterschiede sichtbar. Sie wirken zum Teil noch verschlafener und pittoresker als die fränkischen Touristenorte, durch die ich kam – aber in manchen kleinen Nestern scheint jedes dritte der mit Schieferfassaden verkleideten Häuser leer zu stehen und dem Verfall preisgegeben zu sein. Fahrerisch ist das Thüringer Schiefergebirge ein bisschen anspruchsvoller – aber immer noch rausche ich relaxt durch eine herrliche Gegend. Es geht über Wurzach, Leutenberg, Saalfeld an der Saale und Bad Blankenburg. dann führt mich nein Weg rund 50 Kilometer weiter südwestlich, bis ich in Neustadt am Rennsteig durch den wohl schönsten Teil Thüringens fahre, das Biosphärenreservat Vessertal. Mein weiterer Weg führt mich über den Rennsteig direkt in den Thüringer Wald. Wer nicht – wie ich – nach Norddeutschland will, sollte sich hier einmieten, die Straßen reichen locker für ein Woche Spaß auf dem Motorrad.
Meine Route reicht bis nach Eisenach, aber ein Hotel habe ich dort nicht. Also halte ich in Luisenthal, knapp 100 Kilometer vor Eisenach, an einer Imbissbude an und ordere eine Thüringer Bratwurst. Mit der App des Hotelzimmervermittlers HRS auf meinem Android-Smartphone buche ich mir derweil mein Hotel in Eisenach, einfach und unkompliziert. Die Ausläufer des Thüringer Waldes reichen bis fast in die Wartburg-Stadt hinein, aber am Ende wirkt der Wald teilweise eher wie ein vornehmer Park. Als ich abends in Eisenach ankomme, zeigt mein Tacho 582 km mehr an als am Morgen – und ich weiß was ich getan habe. Das City-Hotel in der Bahnhofstraße ist durchaus eine vorsichtige Empfehlung wert: Für 44 Euro inklusive Frühstück gibt es ein schlichtes, aber blitzsauberes Zimmer, mein Motorrad wird im Hof eingeschlossen. Abends gehe ich zu Fuß in die Innenstadt und esse Thüringisches Spanferkel mit Klößen und Sauerkraut. Inklusive zwei großer Eisenacher Biere und Trinkgeld kostet mich das Ganze 15 Euro – das ist fair. Nicht ganz so fair: Auf dem Rückweg ins Hotel regnet es in Strömen. Tut das Not?
Meine gefahrene Route kann man hier herunterladen (im TomTom-Dateiformat)
Tag 2: Eisenach – Bomlitz
Am nächsten Morgen ist die Laune schwankend. Einerseits wird eine insgesamt angenehme Übernachtung mit einem schönen Frühstück gekrönt, andererseits hat es offenbar die ganze Nacht geschüttet. Als ich gegen halb neun aufs Motorrad steige, ziehe ich die Regenjacke sicherheitshalber gleich an. Es ist recht frisch und scheinbar kurz vorm Regnen. Aber es regnet nicht. So wird es bleiben, den ganzen Tag.
Ich mache mich auf den Weg nach Westen, nach Hessen. Die ganzen touristischen Gegenden, die entlang der A7 gern auf diesen etwas peinlichen, braunen Hinweisschildern angepriesen werden (zum Beispiel Kurhessisches Bergland), erweisen sich aus der Motorradperspektive als eine Anhäufung toll zu fahrender Straßen in satter, grüner Landschaft und mit niedlichsten mittelalterlichen Fachwerk-Städchen auf dem Weg. Aber leider fällt auch eine hessische Unsitte auf, die ich von der Autobahn bereits kenne: Ein ausgeprägtes Wegelagerertum. Mehrfach weist mich mein Navi auf eine Radarfalle am Wegesrand hin. Mein Weg führt mich am Großen Meißner vorbei, durch das Berka- und das Niestetal bis in die Outskirts von Kassel. Nördlich von Kassel schließt sich das wunderbare Fuldatal an, Niedersachsen begrüßt mich mit dem Naturpark Hannoversch Münden und nördlich davon mit dem Naturpark Solling-Vogler. Für den Nachmittag habe ich mir den Harz vorgenommen, aber zuvor halte ich in Northeim bei einer „echten Biker-Kneipe“. Spaß muss sein – und eine Currywurst mit Pommes auch.
Als ich eine Stunde später in Clausthal-Zellerfeld angekommen bin, also mitten im Harz, bin ich etwas enttäuscht. Die Straßen sind generell in einem lausigen Zustand, die Tempobegrenzungen rigide, der Verkehr lästig. Irgendwie hatte ich den Harz toller in Erinnerung. Vielleicht liegt es aber auch nur an den tollen Strecken, die ich schon gefahren bin. Ich durchmesse den Westharz einmal kreuz und quer, wundere mich an der Okertalsperre, dass das dort ansässige Ausflugslokal im Hochsommer geschlossen ist und verlasse das Mittelgebirge eine Stunde später Richtung Hildesheim. Die Hildesheimer Börde erweist sich als angenehme, fahrerisch recht anspruchslose Gegend zum entspannten Durcheilen.
Vor zwei Jahren war ich bei dem Versuch, von Süd-Niedersachsen unter Vermeidung von Autobahnen zu meinen Eltern in der Lüneburger Heide zu kommen, übel eingegangen: Das Navi hatte mich damals herzlos mitten in der Rush Hour durch Hannover geführt – und anschließend über die langweiligsten Landstraßen der Welt bis nach Bomlitz (Landkreis Soltau-Fallingbostel). In diesem Jahr will ich mich gleich ergeben – und fahre bei der Raststätte Hildesheimer Börde auf die chronisch überfüllte und drängelige A7 in Richtung Hamburg. Immerhin, so umgehe ich Hannover. Bei Schwarmstedt habe ich genug von der unheilvollen Melange aus Elefantenrennen und tieffliegenden Außendienstlern, ich fahre die letzten 40 Kilometer durch die durchaus hübsch anzusehenden Allermarschen, über Landstraßen, die mit dem Lineal gezogen wurden.
Als ich gegen halb sechs Uhr abends mit meinem Helm in der Hand vor meinem Elternhaus stehe, wundert sich meine Mutter: „Wir haben dich gar nicht kommen hören. So ein Motorrad ist doch normalerweise lauter.“
Meine gefahrene Route kann man hier herunterladen (im TomTom-Dateiformat)
Tag 3: Pause
1162 km bin ich in den letzten zwei Tagen gefahren. Heute hat die GS Pause. Meine Eltern wollen auch mal was von mir haben. Und sie brauchen auch jemanden, der der Telekom mal eine dezente Ansage rüberlässt, weil das Internet im Haus nicht funktioniert. Am Router liegt es nicht, den habe ich zuvor gecheckt.
Tag 4: Geburtstagstour nach Hamburg
Heute habe ich Geburtstag. Ein etwas seltsames Gefühl, denn es ist seit über 20 Jahren der erste, an dem mein Frau nicht da ist und nur telefonisch gratuliert. Andererseits freut sich meine Mutter, dass sie ihrem Sohn mal wieder live ein Geburtstagsfrühstück machen kann. Mittags bin ich mit Rainer, meinem besten Freund und Trauzeugen verabredet, er wohnt in Hamburg. Eine durchgängig wirklich schöne Strecke von Bomlitz in die Hansestadt gibt es nicht, aber die gut 100 Kilometer über die Autobahn runterbrennen will ich auch nicht. Also fahre ich über Landstraße nach Soltau, dann weiter durch den – sehr hübschen – Naturpark Lüneburger Heide, dann über die B3 nach Neu-Wulmstorf. Dort ist der Einfluss der nahen Metropole Hamburg schon deutlich zu spüren, schön im idyllischen Sinne ist es hier nicht mehr. Da ich ohnehin durch den Elbtunnel muss, fahre ich auf die Autobahn – und erlebe meinen ersten Elbtunnel-Stau auf zwei Rädern. Geht auch.
Rainer wohnt in Osdorf, und zur Feier des Tages bekocht er mich lecker. Nachmittags kommt Rainers Kumpel Armin vorbei, er fährt eine BMW R1100RT, die Reisedampferversion meiner GS. Die Form muss man mögen, Armin sieht’s pragmatisch, er fuhr vorher Großroller. Für die verchromten Zylinderkopfdeckel kann Armin nichts, die hat der Vorbesitzer rangeschraubt. Die beiden wollen mir ihre kleine Hausrunde zeigen. Es geht nach Nordwesten, über Schenefeld und Appen nach Kollmar, in der Nähe der Elbfähre Glückstadt-Wischhafen. Nette Gegend, aber ein extrem kurvengieriges Mopped braucht man da nicht unbedingt. Die Jungs nehmen es gelassen und gleichen das Manko über das Marschtempo aus.
Abends gibt es eine Überraschung: Armins Frau Kerstin kommt vorbei und wir grillen. Sehr schön.

Tag 5: Cuxhaven
Eigentlich hatten Rainer und ich geplant, in den nächsten Tagen die Ostseeküste zwischen Flensburg und Rostock unsicher zu machen, doch das Wetterradar spricht eine andere Sprache: Eine Schlechtwetterfront zieht von Südwesten genau in unser geplantes Zielgebiet. Wir lassen sie passieren und fahren mittags in die Gegenrichtung, nach Nordwesten in Richtung Cuxhaven. Dabei übernehme ich die Führung auf der Hinfahrt, das Navi lotst uns über winkelige Straßen durch das Land zwischen Stade und Cuxhaven, das teilweise aussieht wie aus dem Ikea-Katalog. Auf dem Rückweg übernimmt Rainer auf seiner Ducati die Spitze und wählt weitere Radien. Gemeinsam lassen wir es fliegen, und seine 1000er Monster hört sich dabei an wie eine Spitfire im Sturzflug.

Tag 6: Pause in Hamburg
Mein Handy-Ladegerät ist durchgebrannt, und Rainer braucht dringend neuen Kaffee, den es nur in der Stadt gibt. Wir beschließen einen Hamburg-Bummel zu machen, der mit einer ganz persönlichen Führung durch den Freihafen endet. Abends sind wir an der Elbe bei Wedel und essen in einem kleinen, netten Fischlokal. Hamburg ist eine sehr beeindruckende Stadt.

Tag 7: Die Holsteinische Schweiz
Heute ist uns das Wetter gewogen, ich habe eine hübsch kurvige Strecke für die Gegend zwischen Bad Segeberg und Schöneberg in Holstein abgesteckt. Wir wiederholen das Spiel von gestern: Auf dem Hinweg übernehme ich die Führung auf meiner GS, zurück bestimmt Rainer mit seiner Monster den Kurs. Die Holsteinische Schweiz hat ihren Namen zu Recht, hier gibt es tatsächlich kurvige Strecken. Bevor wir die jedoch unter die Reifen bekommen, müssen wir erst einmal ans andere Ende von Hamburg. Mein Navi schlägt einen Weg vor, der Rainer nicht geheuer ist. Er überholt und übernimmt die Führung – und führt uns geradewegs in einen heftigen Innenstadt-Stau. Der einzige Patzer an einem ansonsten sehr gelungenen Motorrad-Tag. Das Wetter ist sommerlich, der Ausflugsverkehr glänzt an einem Werktag durch Abwesenheit, wir lassen es fliegen – und kommen abends mit 500 km mehr auf dem Tacho zurück.

Tag 8: Die Mondlandung
An meinem letzten Tag in Hamburg verzichten wir auf eine Motorradtour, die 500 km von gestern stecken uns noch in den Knochen. Wir schlafen aus, fahren in die neue – und merkwürdig seelenlose – Hafen-City und gehen in das Automuseum Prototyp. Teuer (8 Euro pro Nase), sehr stylish und mit einigen wirklich erstaunlichen Exponaten. Nach einem Imbiss in einem Schicki-Bistro werde ich langsam unruhig, denn ich muss heute Abend noch etwas bewerkstelligen, das nach Rainers Aussage fast so schwer ist wie die Landung einer Apollo-Fähre auf dem Mond – mit ausgefallenem Bordcomputer: Ich muss mein Motorrad auf einen Autoreisezug fahren. Vorher möchte ich noch Proviant kaufen. Rainer, der ohnehin über mein Reisegepäck staunt (ich habe sogar einen Regenschirm dabei, er ist allerdings zusammengefaltet nur etwas größer als ein Brillenetui), spottet über meine Organisationswut. Als er das letzte Mal im Autoreisezug fuhr, habe er sich seine Bettschwere im Speisewagen angetrunken und gegessen, berichtet er. Allerdings sei er völlig fertig gewesen, weil er den kompakten 600er Sportler, den er damals fuhr, über eine extrem steile Rampe habe fahren müssen. Der damalige Trip hielt noch weitere Dramen bereit: Unterwegs wurde er in Frankreich betäubt und beraubt, sein Motorrad sah bei der Ankunft in Biarriz aus wie ein Schlammklumpen – und die Reise endete mit einem Motorradunfall, bei dem er sich verletzte und heimfliegen musste.
Mit mulmigen Gefühlen, vier belegten Semmeln, drei Dosen Bier und einer Flasche Limo im Gepäck mache ich mich schließlich auf den Weg zum Bahnhof Hamburg-Altona. Dort angekommen, treffe ich auf andere Motorradfahrer, die nicht verstehen können, wieso jemand aus München nach Hamburg zum Motorradfahren kommt, sie machen es genau umgekehrt. Ich hole mir Tipps, wie ich mein Spandauer Schwermetall auf den Waggon bringen soll. „Ducken!“ lautet der allgemeine Ratschlag. Die erlaubte Maximalhöhe für Fahrzeuge auf dem Unterdeck liegt bei 1,57 Meter, ein Motorrad mit aufrecht sitzendem Fahrer ist weit höher. Plötzlich sehe ich zwei Honda Goldwing in Vollausstattung am Checkin – mit Anhänger! Das macht mir Mut: Wenn die Fahrer diese Brocken heil an Bord bekommen, sollte mir das bei meiner GS auch gelingen.
Dann werden wir zum Laden eingewunken, es geht los. Es ist wirklich höllisch eng, ich liege mit dem Kinn auf dem Tank, kann nach vorn kaum etwas sehen, weil der Helm so weit nach unten geneigt ist. Ich versuche vorsichtig den Kopf zu heben, ein Knall auf den Helm zeigt mir, dass nicht viel Luft ist zwischen mir und dem Stahl über mir. Dann ist es geschafft: Mein Motorrad steht in Position und wird sofort verzurrt. Ich nehme meinen Helm und meine paar Habseligkeiten für die Nacht an mich und suche mein Abteil, denn ich habe Liegewagen gebucht.
Eine Fahrt im Autoreisezug gilt als minderlustig und weit gehend komfortfrei, vor allem, wenn man Liegewagen gebucht hat. Schlafwagen ist etwas netter, aber da kann man keinen Einzelplatz buchen, sondern nur ein ganzes Abteil für 400 Euro pro Fahrt. Doch ich habe zumindest etwas Glück, wir sind nur zu viert in einem Sechser-Abteil. Es findet sich sogar ausreichend Platz für meine Motorradklamotten, den Rest der Reise trage ich T-Shirt, Stoffhose und Sneakers. Auf diesen laufe ich am Bahnsteig die Waggons ab und stelle fest: Dieser Zug hat keinen Speisewagen! In meinem Abteil sorgt diese Nachricht für gelinden Frust, aber wir richten uns ein. Später werden wir herausfinden, dass im Nachbarwaggon wenigstens ein paar Getränke zu haben sind. Ich pfeife mir meine Biere ein und quatsche auf dem Gang mit einem anderen Motorradfahrer, während sich die anderen in meinem Abteil aufs Ohr hauen. Elf Stunden fährt der Zug von Hamburg nach München – das wird eine lange Nacht. Als ich so gegen elf ins Bett gehen und vorher noch ein Bier wegbringen will, sind drei der Toiletten kaputt und gesperrt, bevor ich eine vierte finde, die noch funktioniert. Vielleicht liest ja jemand von der Bahn diese Zeilen und beantwortet mir die Frage, ob sich die Bahn für dieses miese Servicelevel nicht schämt.

Tag 9: Zurück in München
Die Nacht im Liegewagen ist furchtbar, aber sie geht vorbei. Der Zug schwankt und dröhnt, meine Noise-Cancelling-Ohrhörer leisten mir erstaunlich wertvolle Dienste. Morgens gibt es einen wirklich schauderhaften Kaffee und ein labberiges Croissant aus der Plastiktüte als Frühstück. Ein Glück, dass ich vom Bahnhof aus nur noch ein paar Kilometer bis zu unserer Wohnung fahren muss – die anderen haben heute ihren ersten Urlaubstag vor sich.
Um kurz nach halb sieben morgens läuft der Zug am Bahnhof München-Ost ein, zehn Minuten eher als geplant. Leider gelingt es der Bahn nicht, diesen Zeitvorsprung für ihre Kunden zu erhalten: Nachdem wir zu Fuß durch den halben Bahnhof gewandert sind, stehen wir uns am Autozug-Verladeterminal die Beine in den Bauch, da erst ein anderer Zug entladen werden muss. Um Viertel vor acht sind wir dran. Musste ich in Hamburg nur durch einen Waggon fahren, weil die Motorräder als letztes aufgeladen wurden, geht es jetzt anders herum – wir müssen den Autos hinterher durch alle Waggons fahren – müde, mit kalten, unwillig laufenden Motoren und im Stop & Go. Aber es geht erstaunlich gut, wenige Minuten später verlasse ich das Bahngelände und reihe mich in den Münchner Berufsverkehr ein.
Als ich zuhause ankomme, zeigt mein Tacho fast genau 2.200 km mehr an als bei der Abfahrt. Technische Probleme? Keine. In Eisenach hatte ich eher aus prophylaktischen Gründen mal einen Viertelliter Öl nachgefüllt, aber den hätte es vermutlich gar nicht gebraucht. Beim Absteigen sehe ich vier Reisesouvenirs: Die Leute von DB Autozug haben beim Entfernen der Spanngurte vergessen, die Gurtlaschen abzumachen, die sie mir in Hamburg an die Gabelholme und den Heckrahmen gebunden hatten. Ich werde sie in Ehren behalten.

2 Kommentare:

  1. Jepp, der Autoreisezug, immer wieder mal eine Geschichte Wert, lach. Aber auf der anderen Seite auch keine schlechte Sache. Besser als 900 km auf der Autobahn verbringen.

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  2. Danke: gerne gelesen, sehr gut ge- und beschrieben.

    Erinnerungen an eine Rückfahrt mit dem Autoreisezug von Hamburg nach Basel kommen hoch (Dose), liegt dreissig Jahre zurück ist aber kongruent von Toilette über Schlafkomfort bis zum "Frühstück". Sowas in der Frühe ist schon ein starkes Stück. Vermutlich geht die DB davon aus, dass Bewährtes nicht geändert werden soll.

    Ich nehme an: Als Münchner kennst du die Oberpfalz - mein nächster Traum auf dem Motorrad; aus Familiengründen dieser Tage im Opel erfahren.

    i.

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