Das EU-Parlament in Strasbourg an einem Montag im Juli |
Was den Grad der grundsätzlichen Europa-Begeisterung angeht, so bin ich mit großer Sicherheit im oberen Drittel zu finden. Als jemand, der im Kalten Krieg seinen Wehrdienst abgeleistet und zur Zeiten der Mauer in Westberlin studiert hat, weiß ich sehr wohl, wie schrecklich es ist, wenn jenseits der (nahen) Grenze Staaten liegen, die einem feindlich gesonnen sind. Und noch heute fühle ich eine tiefe innere Befriedigung, wenn ich über eine Grenze fahre, an der man vor 20 Jahren noch seinen Pass vorzeigen musste - und je nach Laune des Grenzbeamten auch den Inhalt seines Kofferraums. Dasselbe gilt für den Euro: Er ist nicht nur ein enorm praktisches Zahlungsmittel, das übrigens gemessen am Dollar heute nicht schlechter dasteht als zu seiner Einführung. Er ist auch Ausdruck einer Gemeinschaft. Zum ersten Mal seit 60 Jahren ist Deutschland an all seinen Grenzen umgeben von Staaten, die ihm nicht feindlich gesonnen sind. Wer das nicht zu schätzen weiß, ist entweder dämlich oder hat einfach keine harten Zeiten erlebt.
Was mich stört, das ist die Anmaßung des kleinen Nobelpreis-Komitees aus dem kleinen Land Norwegen, einen gigantischen Staatenbund mit 500 Millionen Einwohnern für seine Friedensliebe auszuzeichnen - mit einem in diesem Maßstab albernen Preisgeld von weniger als einer Million Euro. Die Idee Alfred Nobels war es, nicht Organisationen, Länder oder gar Kontinente auszuzeichnen, sondern Einzelpersonen für ihr Lebenswerk zu würdigen. Das zeigte sich beim ersten Preisträger Henri (auch Henry geschrieben) Dunant. Er war der Initiator des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes. Nicht das IKRK bekam den Preis, sondern der Mensch Dunant - obwohl er allein natürlich nicht die ganze Arbeit geleistet hat. Mich hat auch schon die Vergabe des Friedensnobelpreises an Barack Obama gestört, denn seine persönliche Lebensleistung rechtertigt diese Auszeichnung nicht, und die juristische Person des Präsidenten der USA auszuzeichnen, das ist ebenso anmaßend wie jetzt die Verleiung an die EU.
Es gibt Menschen, die die Idee der Europäischen Union entscheidend vorangetrieben haben, mir fallen da als erstes der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors und natürlich Helmut Kohl ein. Ich war und bin kein Parteigänger Kohls, und ich fand vieles, was er in seiner politischen Laufbahn gemacht hat, falsch. Aber wenn Kohl eins in seinem Leben auf die Reihe gekriegt hat, dann war das die Wiedervereinigung Deutschlands, eingebettet in einem gesamteuropäischen Kontext, der nicht nur Deutschland genützt hat, sondern der ganzen Welt. Und ohne Jacques Delors hätten wir heute nicht den EU-Binnenmarkt, uns allen ginge es mit großer Sicherheit wirtschaftlich schlechter - und ob der Frieden innerhalb Europas ohne das weit gespannte Netz der gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen heute genauso sicher wäre, das ist eine Frage, die man durchaus einmal stellen sollte.
Wie fehlerhaft die Entscheidung Oslos war, den Nobelpreis nicht einem Menschen, sondern einem Apparat zu verleihen, zeigt sich bereits an einem Detail: Niemand weiß bisher, wer die Urkunde entgegennehmen soll. Die EU ist eben nicht ein Mensch, sondern eine Idee - wenn auch eine gute.