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Lustige Ortsnamen haben die in Frankreich |
Ein Jahr ist es her, dass ich im Zuge des Abbaus reichlichen
Resturlaubes mein Spandauer Schwermetall sattelte und spontan gen Süden fuhr.
Im vergangenen Jahr war ich im Oktober in Slowenien und Kroatien – und hatte
auf der Rückfahrt meinen Spaß mit einer Felbertauern-Überquerung im Neuschnee.
Seitdem hat sich vieles geändert: Bayern und Österreich
haben ihre Grenzen dicht gemacht, lange Staus an den Kontrollpunkten drohen.
Außerdem hat sich 2015 der Herbst viel eindeutiger zu Wort gemeldet als im Jahr
zuvor, die Alpen sind teilweise jetzt schon weiß. Im Süden waren wir bereits im
Sommerurlaub. Warum also nicht einfach mal woanders hinfahren? Im Elsass war
ich noch nie. Zumindest nicht auf zwei Rädern.
Der initiale Plan: Ab Donnerstag habe ich Urlaub, also am
Freitag, den 2. Oktober losfahren, am Tag der Deutschen Einheit beim „Erbfeind“
die Straßen unsicher machen, eventuell auch am Sonntag, und dann am Montag
zurück. Im Schwarzwald war ich auch noch nie – zumindest nicht auf zwei Rädern.
Elsass. Vogesen. Haut-Rhin. Wo fährt man da hin? Ein Blick
auf die Karte weist ein einziges großes, grünes Nationalparkgebiet aus, das
rund 30 Kilometer westlich des Rheins beginnt und sich von Saverne im Norden
bis nach Belfort im Süden erstreckt. In Saverne war ich vor 35 Jahren schon
mal, damals mit meinem Kadett B. Belfort hört sich irgendwie spannend an, das
könnte man als Basis nutzen. Meinen ersten Gedanken, die angeblich hohen
Hotelpreise in Frankreis zu umgehen und in Freiburg/Breisgau zu übernachten, verwerfe
ich nach einem Blick auf Booking.com. Irgendwas ist in Freiburg los,
Hotelzimmer sind dort an diesem Wochenende erst ab 100 Euro zu haben. Also eine
Herberge in Belfort gebucht: 55 Euro pro Nacht, direkt im Stadtzentrum.
Außerdem muss ich meine Abreise verschieben: Am Freitag habe ich noch in
München zu tun, also geht es erst am Samstag auf die Bahn.
Als ich am Samstagmorgen in München starte, sieht das Wetter
zunächst aus wie ein klassischer Showstopper. Dunkle Wolken hängen am Himmel.
Nach Westen hin soll’s besser werden, sagt der Wetterbericht, also auf die A96
in Richtung Lindau und Meilen machen! Anderthalb Stunden später bin ich in
Memmingen und fahre unter spärlicher Bewölkung in Richtung Freiburg. Irgendwo
in den östlichen Schwarzwaldausläufern mache ich Halt und gönne mir
Wild-Hackbraten mit Kroketten und Spätzle für schlanke 9,80 Euro – von dem
Essen werde ich bis Frankreich etwas haben.
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Reichsbahnfriedhof |
Als ich Tuttlingen passiere, fällt
mir ein Schild auf, das auf 38 Dampfloks verweist. Wenig später sehe ich zu
meiner Rechten tatsächlich ein Bahngleis, auf dem in einer langen Reihe
schwarze Eisengiganten in unterschiedlichen Stadien des Verfalls vor sich
hinmodern. Im Bahnbetriebswerk Tuttlingen, einem trutzigen Steinklotz mit
danebenliegendem Lokschuppen, entsteht gerade das Deutsche Dampflok- und
Modelleisenbahnmuseum. Fünf Euro später stehe ich auf dem Gelände vor den
erschreckend großen Dampfloks, die offenbar nur mit größtem Glück dem
Schneidbrenner entronnen sind, aber sicherlich nie wieder einen Meter aus
eigener Kraft zurücklegen werden. Informationen zu den Loks gibt es nicht – das
Museum ist ja erst im Werden. Aber die schiere Menge beeindruckt.
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Rübergemacht: Kuh aus Spandau in Frankreich |
Weiter geht die wilde Fahrt, Richtung Freiburg. Die
Straßen, die ich mir ausgesucht habe, sind eher zügig als anspruchsvoll, aber
ich will ja auch noch einmal ankommen. In Freiburg mache ich kurz Halt, trinke
einen Kaffee bei Starbucks und erlebe das erste Kunden-WC mit Geheimcode zum
Öffnen. Irgendwie habe ich den Eindruck, es war eine gute Idee, hier nicht
abzusteigen.
Immer weiter geht es nach Westen. Bei Breisach fahre ich
über den Rhein – und freue mich (immer noch), dass niemand meine Papiere sehen
will. Irgendwie gehört das für mich zur gelungenen Wiedervereinigung dazu, dass
nicht nur in Deutschland die Grenzen gefallen sind.
Bis nach Belfort sind es jetzt noch gut 90 Kilometer – und
zwar ziemlich langweilige Kilometer. Denn bei meiner Routenplanung bis Freiburg
hatte ich mir am PC noch etwas Mühe gegeben, doch bis zum Hotel nach Belfort
lasse ich das Navi einfach machen, und das schickt mich über die über weite
Strecken autobahnänlich ausgebaute Grand Rue nach Süden. Als ich in Belfort
ankomme, ist es nach fünf Uhr abends. Ich beziehe mein (winziges) Hotelzimmer,
gebe diverse elektronische Lebenszeichen von mir und wechsle auf Zivilkleidung.
Dann folge ich einer spontanen Eingebung und beschließe, noch einen Supermarkt
aufzusuchen. Es ist zwar Samstagabend, aber irgendwas müsste da noch aufhaben.
Eine Stunde später bin ich zurück, mit etwas Rotwein und Chips für die Nacht
und ein paar kleinen Limoflaschen für die folgenden Tage.
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Blick aus dem Hotelfenster |
Belfort hat
einen historischen Ortskern und eine
beeindruckende Befestigungsanlage dahinter. Darum gruppiert sich eine typisch
wuselige, französische Kleinstadt mit rund 50.000 Einwohnern. Die Stadt liegt
im Bezirk Haute-Rhin, und wenn hier etwas auf Tourismus gemacht wird, dann nur
für französische Touristen. Denn englisch oder deutsch spricht hier niemand.
Dazu passt auch der Fernseher auf meinem Hotelzimmer: 35 Kanäle, alle nur auf
Französisch. Im Restaurant daneben kostet das Tagesmenü 25 Euro, ich
beschließe, aufs Zimmer zu gehen und ein paar von den Schokowaffeln zu essen,
die ich im Supermarkt noch gekauft habe. Später raffe ich mich dennoch noch
einmal auf und bummle etwas durch die inzwischen dunkle Stadt. In einem Bistro
gönne ich mir ein Glas Rotwein – und es fängt zu nieseln an. Super. Wenn ich
schon mal auf Tour bin.
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Belfort bei Nacht |
Während ich mich in der Nacht unter dem Einfluss von
Rotwein, Schwarzwald-Spätzle und Schokowaffeln im überraschend komfortablen
Bett umherwälze, wächst sich draußen das Nieseln zum Dauerregen aus. Am
nächsten Morgen ist draußen alles nass und grau. Also erst mal frühstücken und
dann weitersehen. Als ich gegen zehn Uhr morgens mein klatschnasses Motorrad
besteige, wird es am Himmel schon heller. Regnen wird es heute den ganzen Tag
nicht mehr.
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Am Ballon d'Alsace |
In München hatte ich beim Louis im Grabbelkorb einen
Motorrad-Reiseführer Elsass und Vogesen für kleines Geld gefunden und mir
daraus einige Touren ins Navi kopiert. Eine der Touren möchte ich heute fahren,
sie beginnt und endet am Lac Géradmer, rund fünfzig Kilometer nördlich von
Belfort. Also fahre ich erst einmal nach Norden, über Giromagny und Lepuix.
Überall ausgeschildert ist der Ballon d’Alsace, eine Hügelkette mit zahlreichen
Bespaßungsangeboten. Die Strecke dorthin gibt mir einen Vorgeschmack darauf,
was mich erwartet: Landstraßen erster bis dritter Ordnung, Kurven mit den
unterschiedlichsten Radien und ein Asphalt, der fast immer griffiger ist als er
aussieht. Den Ballon d’Alsace erreiche ich in so dichtem Nebel, dass ich in
Ermangelung einer Nebelschlussleuchte mit eingeschalteter Warnblinkanlage
fahre. Doch ein paar Kilometer später ist der Spuk schon wieder vorbei und die
Wolkendecke reißt auf. Schließlich komme ich in Géradmer an und beginne Tour
Nr. 7 aus dem Reiseführer von Thomas Heppmann.
Es beginnt eine Wandertour durch
die südlichen Vogesen, und einmal mehr bin ich froh um mein Navi. Mit dem im
Buch abgedruckten Roadbook hätte ich die Abzweige nie geschafft.
(Download der Tour im TomTom-ITN-Format) Es geht über
kleine und kleinste Sträßchen, zwar fast alles asphaltiert aber ohne
Ortskenntnis nicht zu finden. 179 Kilometer hat die Tour, aber sie abzufahren
dauert fast fünf Stunden. Unterwegs treffe ich auf einen Hinweiser auf den berühmten
Col de la Schlucht und beschließe dort hochzufahren. Ganz nett, aber bestimmt
nicht der Höhepunkt des Tages. Dafür sitze ich schließlich oben am Pass auf der
Terrasse eines Wirtshauses in der Sonne und esse eine ganz manierliche
Fleischpastete. Das Ende der Tour beschließe ich mit einer ausgiebigen Pause am
Lac de Géradmer (der in manchen alten Reiseführern einfach nur Gerdsee heißt),
dann muss ich ja noch zurück ins Hotel. Ich verlasse mich auf mein Navi, das
findet den Weg zwar zuverlässig aber ohne Kreativität: Ein Großteil der gut 80
Kilometer geht über schnurgerade Nationalstraßen. Abends mache ich mich auf die
Suche nach einem bezahlbaren Restaurant und stoße auf einen Algerier, der mir
ein sehr achtbares Ribeye-Steak mit Pommes und Gemüse auftischt. Und im Gegensatz
zu seinen französischen Landsleuten spricht der Mann auch englisch und sogar
drei Brocken deutsch.
Der Montag beginnt, wie der Sonntag begonnen hat: Nass. Doch
als ich nach dem Auschecken aus dem Hotel mein Gepäck in den Koffern des
tropfnassen Motorrades verstaue, regnet es schon nicht mehr. Zurück will ich
anders fahren als hin. Ich fahre ab Belfort nach Osten, die Kleinstadt liegt
ziemlich genau auf der Höhe von Basel. In weit geschwungenen Bögen geht die Straße
über sanft hügeliges Land, und in fast jedem Ort, den ich durchfahre, wird die
Hauptstraße gerade frisch asphaltiert. Nach einer guten Stunde erreiche ich den
Flughafen Basel-Mulhouse, kurze Zeit später fahre ich bei Weil am Rhein über
die Grenze nach Deutschland. Die Gegend dort ist vollindustrialisiert und
überfüllt mit Kreiseln, Ampeln und Radarfallen, und so bin ich ganz froh, als
es weitergeht in Richtung Südschwarzwald.
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Feldberg im Nebel |
Zum Feldberg hoch führen dreispurige
Rennbahnen – und oben stehe ich dann wieder im Nebel. Dennoch wartet der
Schwarzwald durchaus mit feinen Strecken auf, nur etwas wärmer könnte es sein.
Am Schluchsee mache ich Rast und gebe mir eine Bratwurst mit Pommes – und die
Erkenntnis, dass Herzlichkeit im Kundenkontakt in der Gastronomie dieses Landstrichs
offenbar optional ist. Ich könnte jetzt Richtung Freiburg-Tuttlingen fahren und
dann den Weg nehmen, den ich auf der Hinfahrt genommen habe. Stattdessen fahre
ich nach Süden in die Gegend um Waldshut Tiengen und später Richtung Konstanz. Das
beschert mir zwar zwischen Konstanz und Siegen ein paar schöne Kurven, aber
danach die Einsicht, dass die Bodenseeregion verkehrstechnisch ein echtes
Desaster ist. Die B31 am Nordufer des Sees ist hoffnungslos überlastet,
offenbar ein gewollter Zustand, sonst würde sie nicht in manchen Orten durch
Tempo-30-Zonen künstlich eingebremst. Von hier nach hause sind es noch über 200
Kilometer. Wenn ich die jetzt auf ausgesuchten, kleinen Straßen fahren will,
kann ich mir gleich noch ein Nachtquartier suchen. Auf eine Fährpassage in die
Schweiz und anschließendes Tempo-60-Gezockel am Südufer des Sees habe ich erst
recht keine Lust. Also endet die Tour wie sie begonnen hat: Mit zügigem
Marschtempo auf der A96.
Für die Statistik: Gut 1.300 Kilometer gefahren, keine
Probleme am Krad, nur das Navi sendete seinen Ton zum Schluss nur noch auf das
rechte Ohr. Der Conti TKC 70 konnte in jeder Situation überzeugen. Längsgefräste
Straßenbeläge mag er allerdings nicht so. Und falls ihr selbst mal nach
Frankreich fahrt: Hektisches Tanken vor der Grenze ist eigentlich unnötig. Der
Sprit kostet dort nicht mehr als hier.