Mittwoch, 27. Mai 2009
Anruf von BMW
Sonntag, 24. Mai 2009
Auf einen Kaffee in Vaduz
Punkte machen kann man natürlich mit kleinen Ländern und Kleinstaaten, aber da haben wir gemeinsam schon alles Mögliche durch: Malta, Türkische Republik Nordzypern, Andorra, San Marino, Vatikanstaat. In Luxemburg war ich schon mal, sie aber wohl auch. Und Liechtenstein?
Gar nicht so weit weg von München, sagt der Routenplaner, 240 km, wenn man auf Autobahnen verzichtet. An Himmelfahrt hatte ich einen gemeinsamen Ausflug mit dem Auto nach Vaduz vorgeschlagen, sie hatte abgelehnt. Okay, sie hatte ihre Chance, am heutigen Samstag kommt meine: Als wir in aller Frühe (denn sie muss derzeit wegen eines Studiums am Samstag immer früh raus) beim Frühstück sitzen, sage ich: „Ich fahre heute mit dem Motorrad nach Vaduz.“ Ihr Blick ist skeptisch. „Das ist ja viel zu weit. Du spinnst.“ Okay, für jemanden, der noch nicht einmal an einer Fahrt auf dem Motorrad in den nächsten Biergarten Interesse zeigt, muss es eine absurde Vorstellung sein, ein paar hundert Kilometer am Stück im Sattel zu verbringen, aber ich diskutiere ja auch nicht mit ihr über Handtaschen. Sie gibt mir noch zwei wichtige Anweisungen auf den Weg: 1. auf mich aufpassen. 2. heute noch zurückkommen. Ich deute Anweisung 2 als einen gewissen Freibrief, was den Zeitpunkt der Rückkehr angeht. Andererseits weiß ich, dass sie es gerne mag, wenn ich abends dann auch mal irgendwann wieder da bin.
Also los. Leider habe ich weder mein Notebook zur Hand (das braucht meine Frau im Moment fürs Studium) noch genügend Zeit, mir mit dem Motorrad-Tourenplaner eine detaillierte Route nach Vaduz unter spezieller Berücksichtigung von Mondphase, fahrdynamischen sowie touristischen Highlights zu stricken und auf mein Navi zu spielen. Deshalb plane ich auf Lücke: Auf der Hinfahrt will ich die Wahl der Route dem Navi allein überlassen, außerdem packe ich ein paar Landkarten ins Gepäck, um dann während der Pause in Vaduz in Ruhe eine spektakuläre Rückreiseroute zu planen. Recht warm ist es: Einen Fleecepulli packe ich zwar ein, brauche ihn aber die ganze Tour nicht, unter der Motorradjacke trage ich nur ein langärmeliges Unterhemd aus Funktions-Kunstfaser.
Das Navi erhält den Auftrag, eine Route von „München-Laim“ nach „Vaduz, Stadtmitte“ zu rechnen. Dabei wähle ich die Option „Autobahnen vermeiden“, die sich schon häufig als Garant für ebenso zügiges wie spektakuläres Vorwärtskommen bewährt hat – Mautstraßen lasse ich aus. Das Navi rechnet eine Weile und präsentiert eine Route von 257 km Länge und 4:25 Stunden Fahrtzeit. Um acht sitze ich auf der Maschine, um kurz vor halb eins soll ich in Vaduz sein, na, mal sehen.
Der erste Teil der Route birgt keine großen Überraschungen, das Navi leitet mich, es hat ja Autobahnverbot, auf der Olympiastraße parallel zur A95 bis nach Berg, von da aus über die B2 durch Starnberg durch in Richtung Weilheim. Naja, toll ist die Strecke nicht, aber man kommt voran. Dann geht es in Richtung Peißenberg. Ich vermute, dass das Navi die Alpenstraße in Richtung Füssen erwischen will, die üblicherweise mit Reisebussen voller Japaner verseucht ist. Nun gut, wenn man schnell nach Füssen oder nach Reutte in Tirol will, dann ist die Straße ganz okay, aber wenn man schnell wohin will, kann man ja auch den ICE nehmen. Doch dann kommt es anders: Kurz vor Peißenberg ist die neue Umgehungsstraße jetzt fertig, die B472 macht jetzt einen Bogen um die Stadt, durchschneidet mit einem Tunnel eine Hügelkette und überquert auf einer nagelneuen Brücke die Ammer. Die ganze Umgehung ist so neu, dass sie auf den Luftbildern von Google Earth noch nicht zu sehen ist – und mein Navi hat von ihr erst recht keinen Schimmer. Also rechnet sich der Rechner einen Wolf, während ich ein paar Hochgeschwindigkeits-Schräglagen fahre. Dann kreuzen wir die Böbinger Straße (ST 2058), die über Böbing und Rottenbuch führt, eine schöne Landstraße mit anspruchsvollen Kurven, ein paar Serpentinen und anderen Scherzen – diese Gelegenheit kann ich nicht auslasen. Die Route ist auch anderen Motorradfahrern bekannt, ich bin heute nicht allein. Das Navi fordert mich noch zweimal zum Umdrehen auf, bis es sich eines besseren besinnt und die gewählte Route akzeptiert.
In Rottenbuch kreuzt die ST 2058 die B23, auf der ich jetzt auf schnellstem und touristisch unattraktivstem Weg nach Oberammergau und weiter nach Österreich fahren könnte, doch das Navi hat andere Pläne. Es schickt mich auf die sehr schön zu fahrende ST 2059 über Steingaden nach Lechbruck, von dort aus geht es weiter nach Westen, die nächste größere Stadt ist Nesselwang. Die Landschaft verändert sich, wir sind jetzt eindeutig im Allgäu. In Sonthofen gerate ich in einen Einkaufsverkehrsstau, es ist jetzt schon richtig warm und mein Frühaufsteherbonus ist definitiv verbraucht.
Bei Balderschwang fahre ich über die Grenze nach Österreich, und hier sieht man ihn noch, den Unterschied im Lebensstandard, den es früher auch anderswo zu beobachten gab: Alles wirkt ein wenig ärmlicher und gerümpeliger als im properen, erkennbar wohlhabenden Allgäu. Dafür schickt mich das Navi im Vorarlberg durch immer kleinere, kurvigere Sträßchen. Ich vermute bereits einen Fehler im System, als ich plötzlich doch an einer größeren Durchgangsstraße lande, die in Richtung Dornbirn führt.
Die Route nach Vaduz entwickelt jetzt gewisse Längen, ewig geht es durch langweilige, dafür strikt geschwindigkeitsbeschränkte Gewerbegebiete, bei denen zwar wirtschaftliche Prosperität erkennbar ist, aber kein konsequenter Bebauungsplan. Dass es immer noch nach Vaduz geht, muss ich meinem Navi glauben, denn ausgeschildert sehe ich die Hauptstadt des kleinen Nachbarlandes nirgends. Kurz vor Feldkirch erscheinen dann die ersten Hinweise: Das Fürstentum, das unser Finanzminister so auf dem Kieker hat, rückt näher.
In Schaanwald fahre ich völlig unspektakulär über die Grenze. Liechtenstein ist zwar nicht in der EU, aber dennoch will niemand meine Papiere sehen. Unspektakulär geht es weiter: Liechtenstein präsentiert sich wie ein ewig langes Straßendorf. Wer erwartet hatte, dass hier der Reichtum aus allen Poren spritzt, sieht sich getäuscht. Dabei hat Liechtenstein laut Wikipedia weltweit das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, 2005 waren es umgerechnet 111.000 Euro, gezahlt wird hier in Schweizer Franken, aber Euros gehen auch. In Schaan wird deutlich, dass im Fürstentum nicht nur Kapitalanlagen produziert werden: Schaan ist Heimat der Hilti-Werkzeuge, die großen Gebäude mit dem Hilti-Schriftzug dominieren die Stadt. An jeder Ecke ne Bank? Sieht nicht so aus.
Zuvor muss ich mich allerdings minimal stadtfein machen, also falte ich meine Motorradjacke in den Koffer an der Yamaha, hänge Helm und Rückenpanzer ans Krad und sortiere mich neu. Das erregt das Interesse zweier fernöstlicher Touristen, sie beginnen Smalltalk mit mir. Wie schwer denn meine Maschine sei (etwa viermal so schwer wie Sie, junge Frau), woher ich denn komme und so weiter. Die Damen kommen aus China, wie sich herausstellt, und sie sind nicht die einzigen Chinesen in Vaduz. Landsleute von ihnen inspizieren interessiert und belustigt die zahlreichen modernen Kunstwerke, die in der Fußgängerzone verteilt sind.
Später lasse ich mich in einem der zahlreichen Straßencafés nieder, plane meine Rückreise und bestelle bei einem förmlich aussehenden jungen Mann einen Eiskaffee. Der wird mir gebracht von einer überaus attraktiven Blondine – und macht schlagartig klar, woher das hohe Bruttoinlandsprodukt kommt: Er kostet 8,90 Euro. Egal, dafür ist der Sprit billig, 1,01 Euro für den Liter Super ist mehr als 30 Cent billiger als in München. Auf dem Rückweg bunkere ich so viel, wie in den Tank passt, doch zuerst fahre ich noch zur Fürstenburg hoch.
Kaffee getrunken, Burg gesehen, Sprit gebunkert – es geht zurück. Aber auf einer anderen Route, im Café kunstvoll händisch ins Navi programmiert. Raus aus dem Fürstentum geht es genauso wie rein – wieder will niemand an der Grenze irgendwelche Papiere sehen. Hätte ich das gewusst, hätte ich wirklich elegant mein nicht vorhandenes Schwarzgeld deponieren können. Wer kontrolliert schon die Koffer einer ’92er Yamaha. Die neue Route biegt hinter Feldkirch nach Osten ab, es geht in Richtung Furkajoch. Am Fuß des Passes die Enttäuschung: Der Pass sei gesperrt, sagt ein Schild, die Fahrt bis Lantens sei möglich. Was nun? Unschlüssig stehe ich mit drei anderen Motorradfahrern herum, da kommt der Besitzer eines Steh-Imbisses zu uns und klärt auf: „Der Pass ist zwar gesperrt, aber man kann problemlos rüberfahren, das machen die Einheimischen auch. Es gab oben wohl einen Erdrutsch, aber da kommt man problemlos durch.“ Der Mann muss es wissen, also los.
Zehn Kilometer später ist dann endgültig Schluss, die Straße ist komplett gesperrt, ein Wachtposten steht daneben – und gibt Entwarnung: Wegen eines Bergrennens wurde die Straße gesperrt, in einer halben Stunde ist sie wieder offen.
Über Damüls und Schröcken geht es auf eine Passstraße, die in der Karte als „Käsestraße“ eingezeichnet ist und wunderbare Bergpanoramen mit schnellen Kurven paart. Schließlich komme ich auf die Lechtal-Bundesstraße, die mich direkt bis nach Reutte führt. In Stanzach wollte ich eigentlich abbiegen und eine Runde durchs Namloser Tal fahren, doch die fortgeschrittene Uhrzeit lässt mich die Economy-Variante wählen: Direkt nach Reutte, von dort aus über die B17 bis nach Steingaden und dann zurück in Richtung Böbing. Jetzt könnte ich genauso heimfahren, wie ich hergekommen bin, doch das Navi, das jetzt im „Schnellste Route“-Modus steht, nimmt seinen Job jedoch sehr ernst und leitet mich um in Richtung Uffing am Staffelsee und schickt mich schließlich bei Sindelsdorf auf die A95. Von dort aus sind es noch gut 50 Kilometer nach München. Kaum auf der Autobahn, geht mir der Sprit aus, ich schalte auf Reserve. Komme ich damit heim? Ich beschließe, kein Risiko einzugehen und tanke auf der Autobahntankstelle Höhenrain – für stolze 1,349 Euro pro Liter.
Kurz vor 19 Uhr komme ich zuhause an. Rund 600 Kilometer bin ich gefahren – nicht schlecht für einen kleinen Ausflug ins Eiscafé.
Wer ist für Kinderpornos?
Ich habe unterschrieben. So wie über 80.000 andere Menschen auch. Wir haben eine Petition gegen die von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorangetriebene Indizierung und Sperrung von Internet-Seiten mit kinderpornografischem Inhalt unterschrieben. Und wir sind so viele, dass sich der Bundestag mit dieser Petition befassen muss. Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) äußerte dazu vor laufenden TV-Kameras seine Besorgnis, dass pauschal der Eindruck entstehen könne, dass viele Menschen sich gegen die Sperrung derartiger Inhalte sträubten. Er zeigt damit, dass er nichts verstanden hat. Es geht nicht um Kinderpornografie, es geht um Zensur. Mit der - naturgemäß geheimen - Liste mit illegalen Websites, die das BKA jeden Tag zusammenstellen und an Provider schicken will, lassen sich alle mögliche missliebigen Web-Inhalte sperren - ohne Anhörung der Geschädigten, ohne Rechtsmittel, ohne Kontrolle. Das ist die klassische Definition von Zensur, und diese findet laut Grundgesetz, Artikel 5, in unserem Land nicht statt. Es ist nicht die Aufgabe der Gegner der Internet-Sperrverfügung, der Regierung einen Weg aufzuzeigen, wie sie Kinderpornografie bekämpfen könnte, ohne die Verfassung zu brechen. Es kann auch nicht sein, dass denen, die im Umgang mit den Grundrechten im Internet Augenmaß fordern, Verständnis oder gar Sympathie mit Kinderschändern unterstellt wird. Es muss sich endlich bei der Regierung die Erkenntnis durchsetzen, dass selbst der Kampf gegen Kinderpornografie nicht alle rechtsstaatlichen Grundsätze außer Kraft setzen darf. Schließlich kommt ja auch niemand auf den Gedanken, die katholische Kirche zu verbieten, nur weil es immer wieder zu Fällen von Pädophilie innerhalb der Priesterschaft kommt.
Anmerkung: Dieser Kommentar erscheint am Montag, 25. Mai 2009 in der Internet-Wirtschaftszeitschrift INTERNET WORLD Business. Bis jetzt haben mehr als 93.000 Menschen die Petition gegen Internet-Sperren unterschrieben. Wer noch nicht unterschrieben hat, kann das hier nachholen.
Gesucht: Internet in Österreich
So sieht der aktuelle TV-Spot von Hofer (der östereichischen Ausgabe von Aldi) für ihr Mobilfunk-Angebot Yesss aus. Yesss gibt es auch für Smartphones, die SIM-Larte kostet einen Zehner, dabei sind 512 MB Datenvolumen. Exakt das ist es, was meinem Smartphone noch fehlt, wenn ich in Österreich bin. Denn dann könnte ich in Österreich Google Maps benutzen, mal mit dem Notebook online gehen, Bilder per Mail erschicken, ohne dass es mich arm macht. Ein Gigabyte kostet mich im Moment in Deutschland nämlich gerade mal zehn Euro, im EU-Ausland bekomme ich dafür gerade noch 5 MB.
Der Haken: Um eine solche Yesss-Datenkarte ans Laufen zu bekommen, muss man sie anmelden, und zwar mit einem österreichischen Ausweis und einer österreichischen Bankverbindung. Das stand zumindest in der Broschüre, die ich mir im Hofer-Supermarkt durchgelesen habe.
Oder weiß jemand eine andere Lösung?
[Update: Die Lösung wurde gefunden - es gibt eine echte Prepaid-Karte ohne Pass & Konto]
Mittwoch, 20. Mai 2009
Sonntag, 17. Mai 2009
Die Sache mit der GS
Eine alte GS hatte ich irgendwie auch immer auf dem Zettel. Alt bedeutet: Baujahr irgendwann in den 80ern, Zweiventil-Boxer mit 800 bis 1000 ccm und 50 bis 60 PS, Technik der 70er. Kann man so was kaufen? Bloß nicht, sagt mein bester Freund und Trauzeuge Rainer, das Ding ist bleischwer, der Motor schüttelt Dir die Eingeweide durch, hat untenrum ein bisschen Schub, aber ab 4.000 ist Ende. Das geht gar nicht.
Meinem Kollegen Dominik ist jetzt eine R100GS „zugelaufen“, wie er das nennt. Eigentlich ist Dominik auf leichte japanische Enduros der Marke Honda spezialisiert, sein momentanes Erstmotorrad ist eine Honda XL 500 mit einem Straßenfahrwerk, Vordergabel vom Nachfolgemodell XL 600 mit Scheibenbremse und getuntem Motor. Das Mopped ist ein Schmuckstück, mit Liebe restauriert. Und Dominik fährt damit wie der Henker.
Und jetzt die zugelaufene GS. Wie das? Ein Bekannter, erzählt Dominik, hat die GS schon seit Jahren herumstehen, und jetzt sind viele Mängel beisammen: Die Bremse ist fest, die Reifen sind runter, das Abgas stimmt nicht, das Federbein schleift am Rahmen, der TÜV ist schon lange abgelaufen. Optisch ist sie auch nicht besonders schön. Die gelbe(!) Sitzbank muss erneuert werden. Dominik hat ein Herz für gefallene Kräder, der Bekannte verkauft sie ihm für „rund 1.000 Euro“, und mit ein paar Tagen Arbeit hat Dominik die Maschine wieder am Laufen. Und ist begeistert vom Fahren.
„Die musst Du mich mal fahren lassen“, meine ich, und Dominik stimmt zu. Er ist bei so was nicht heikel, eine der vielen Eigenschaften, für die ich ihn schätze. Und die Gelegenheit zu einer ausführlichen Probefahrt ergibt sich bereits wenige Tage nach dem erfolgreich absolvierten TÜV-Termin. Am Samstag verabreden wir uns in München, wollen nach Bad Tölz, dort einen Kumpel aus Dominiks XL-500-Schrauberuniversum treffen und dann eine Runde fahren. Dominik will bei der Gelegenheit die neuen Bridgestone-Reifen einfahren, die er auf seine gesuperte XL gezogen hat. Und ich soll die GS fahren. Die hat seit ein paar Tagen neue Reifen (Michelin Anakee), neue Bremsbeläge, neue Stahlflex-Bremsleitungen und frische Bremsflüssigkeit. Der Motor sei gut in Schuss, berichtet Dominik, und die Laufleistung ist auch überschaubar: 54.000 km.
Wir treffen uns am Samstagmorgen in einem Café in München, es regnet in Strömen. Auch nach einer halben Stunde wird es nicht weniger, also machen wir uns auf den Weg. Die GS ist ein Motorrad mit einer Ausstrahlung wie ein Nutzfahrzeug. Die Designer hatten bei der Gestaltung offenbar Pause, die Materialwahl erinnert an vielen Ecken an ein landwirtschaftliches Gerät. Auch mit der Ergonomie muss ich mich erst anfreunden. Das Licht wird – wie in alten Lkw – mit dem Zündschlüssel eingeschaltet, der Seitenständer ist ein grotesk langer Metallhebel, der ellenweit unter dem linken Zylinder durchschwingt und kaum mit dem Fuß auszuklappen ist, wenn man auf dem Mopped sitzt. Über den Zustand des Geräts informieren ein riesiger Tacho mit Schaltmarken und Überdrehwarnungen, ein Plastik-Block mit grotesk großen Warnlampen und ein seitlich angeflanschter, kleiner Drehzahlmesser (aufpreispflichtig). Die Lenkerarmaturen sind enttäuschend: Der Blinkerknopf sitzt zu tief, der Fernlichthebel ist windig. BMW mag einen Ruf wie Donnerhall für perfekte Ergonomie haben – aber mit diesem Motorrad haben sie ihn sich nicht erworben. Aber es gibt auch Gutes zu vermelden: Die an recht kurzen Auslegern befestigten Rückspiegel bieten auch massigen Zweimetermännern gute Rücksicht und vibrieren nicht, der Chokehebel sitzt griffgünstig am Lenker und auf der als folternd unbequem verschrienen Sitzbank sitze zumindest ich sehr angenehm.
Der Start ist ein Erlebnis für sich. Beim Druck auf den Starterknopf orgelt der altersschwache Anlasser, die Lampen flackern, dann erwacht die Maschine mit einem Querschlag zum Leben. Sie poltert und stampft, will mit dem Gasgriff am Leben gehalten werden. Der Anlasser zieht sich mit einem protestierenden Heulton zurück. Alle Warnlampen bis auf die Leerlauflampe gehen aus – der Brocken läuft. Ein kurzer Blick nach unten offenbart ein leichtes Platzproblem: Da wo bei meinem Mopped meine Unterschenkel sitzen, sind bei dieser BMW die Zylinder, dahinter sitzen die beiden großen Bing-Gleichdruckvergaser – und erst dann ist Platz für die Beine. Dominik hatte schon geklagt, dass er den Hebel für die Fußbremse, der unter dem rechten Zylinder sitzt, nur mit der äußersten Stiefelspitze betätigen könne, aber bei mir ist das nicht so schlimm – Schuhgröße 48 hat auch ihre Vorteile. An den Schalthebel kommt man besser ran, doch der erste Gang will nicht reingehen. Das habe ich bei meiner Yamaha auch manchmal, da hilft dann Kupplung kommen lassen und noch mal versuchen. Der Trick klappt bei der BMW nicht, aber nach ein paarmal Treten geht die Leerlauflampe aus, der Gang ist drin.
Beim Rangieren aus der Garageneinfahrt bekomme ich einen ersten Eindruck davon, wieso die GS solch einen guten Ruf hat. Gemessen daran, dass sie genauso viel wiegt wie meine Yamaha, ist sie sehr wendig und lässt sich gut rangieren. Also los in den strömenden Regen, auf den Mittleren Ring. Einmal in Fahrt lässt die GS ihr betagtes Alter und den mittelprächtigen Erhaltungszustand vergessen und verströmt sofort viel Vertrauen. Dem Motor scheint es egal zu sein, ob man jetzt gerade 2.000, 3.000 oder 4.000 Touren drauf hat, er beantwortet jeden Dreh am Gasgriff mit Schub nach vorn. Das Getriebe der GS ist als schlecht verschrien, aber jetzt macht es seinen Job ganz gut. Die Gangwechsel gelingen geräuschlos. Der Motor ist stets präsent, aber statt nerviger, hochfrequenter Vibrationen verbreitet er eine Art pulsierende Dauermassage, an die ich mich gewöhnen könnte. Dabei fahre ich extrem schüchtern: Fremdes Mopped, neue Reifen, strömender Regen, dichter Stadtverkehr – jetzt nix falsch machen. Nach zehn Minuten sind wir auf der A95 in Richtung Garmisch und pflügen mit 120 über die Bahn. Die BMW beginnt, mir Spaß zu machen. Das kleine Windschild am Cockpit und die Protektoren an den Griffen halten mir das Wetter recht gut vom Leib, der Boxer schnurrt, als möchte er so ewig weiterfahren.
Bei Schäftlarn fahren wir ab und wechseln auf die Landstraße. In den Kehren zum Isartal nach Kloster Schäftlarn hinab sammle ich erstes Vertrauen in die Enduro-Reifen und freunde mich mit der Kaltblüter-Charakteristik des Boxers an. Man kann durchaus die Drehzahl in der Kurve auf 2.000 fallen lassen und verhungert nicht am Kurvenausgang sondern zieht mit angenehmem Schub aus der Kurve. Der große Hubraum verhilft dem Motor zu einer ordentlichen Bremswirkung, so dass ich beim Einbremsen in die Kurve mit der Vorderradbremse nur wenig nachhelfen muss. Dann geht es weiter über Nebenstraßen nach Dietramszell, von dort aus nach Bad Tölz. In einem Schnellfress trefen wir Oliver mit seiner roten Honda XL 500, essen einen Burger und fassen in der benachbarten Aral-Tanke Sprit. 24 Liter passen in das Fass der GS, das ist ein Viertel mehr als bei der TDM.
Inzwischen hat es zu regnen aufgehört, die Regenkombi verschwindet im Rucksack, los geht’s. Die beiden Jungs lassen es auf ihren Hondas mächtig krachen und wieseln über kurvige Nebenstraßen. Ich versuche dranzubleiben und gebe der BMW die Sporen. Dabei wird der Unterschied in der Motorcharakteristik zur Yamaha TDM 850 deutlich: Die BMW schöpft 60 PS aus 980 ccm, die Yamaha holt 78 PS aus 850 ccm heraus – das geht nur über mehr Drehzahl: Die Maximalleistung des BMW-Boxers liegt bei 6.500/min an, die Yamaha muss man bis 7.500/min drehen, damit alle 78 PS am Start sind. Doch viel entscheidender ist der Drehmomentverlauf: Der BMW-Motor liefert sein maximales Drehmoment von 76 Nm bei 3.750/min, die Yamaha liefert mit 81 Nm kaum mehr, aber erst bei 6.000/min. In der Praxis wirkt sich das so aus, dass man mit der BMW im Drehzahlbereich von 3.000 bis 4.500/min gut unterwegs ist, keinen Leistungsmangel spürt – und auch keine Hektik. Und noch eins merke ich an einer Vorfahrtsstraße: Die Bremse ist arg knapp dimensioniert. Eine relativ kleine Scheibe vorn, nicht gelocht, und an der Hinterhand eine Trommel, das ist nicht viel für ein 210-Kilo-Krad mit einem Dreizentnermann drauf. Dominik kennt das Problem: „Das ist keine Zweifingerbremse, da brauchst Du schon die ganze Hand.“
Dafür kann das Fahrwerk glänzen: Souverän bügelt die BMW Unebenheiten und Schlaglöcher aus, entschärft Fugen und Frostaufbrüche. Mit dem breiten Lenker hat man das Mopped besser in der Hand als die TDM mit ihrem Serienlenker. Allerdings fällt mir bisweilen ein leichtes Tänzeln an der Hinterhand auf, nicht beunruhigend, aber es ist da. Ich schiebe das auf die etwas indifferente Charakteristik der Anakee-Reifen mit ihren Stollen, Dominik vermutet, dass das White-Power-Federbein im Heck daran schuld ist, dessen Federbasis haben wir nicht auf mein Gewicht eingestellt. Das Charakteristikum, das der Boxer-BMW den Beinamen „Gummikuh“ eingebracht hat, ist bei dieser GS kaum noch zu spüren: Früher sorgte das Drehmoment beim Gasgeben im Kardan dafür, dass sich die Maschine dann hinten aus den Federn hob – beim Gaswegnehmen sackte sie dafür hintenein und setzte bei großen Schräglagen auf. Die R100GS ist die erste BMW, bei der man dieses Aufstellmoment durch eine Abstützung nahezu eliminiert hat. Auch eine andere Eigenheit, von der Dominik mir erzählt hatte, fällt mir zunächst nicht auf: Das Eigenleben des Boxermotors bei Lastwechseln. Im Gegensatz zu fast allen anderen Motorradmotoren liegt beim BMW-Boxer die Kurbelwelle in der Längsachse des Motorrades. Gibt man kräftig Gas, bekommt der Motor, und damit das ganze Motorrad, einen Drehimpuls nach links, nimmt man schlagartig Gas weg, ruckt der Motor in die andere Richtung. Ich bin von der TDM relativ harsche Lastwechsel gewohnt, deshalb habe ich mir offenbar abgewöhnt, das Gas schlagartig aufzureißen oder zuzudrehen. Deshalb empfinde ich auch das Eigenleben der BMW bei Lastwechseln als überaus gutmütig. Erst als ich in einer Kurve einmal plötzlich vom Gas gehe und danach wieder Stoff gebe, merke ich, was Dominik gemeint hat: Es fühlt sich an, als sei das Hinterrad über eine Längsfuge gerollt und habe versetzt.
Mittlerweile sind wir kurz vor Garmisch in Richtung Reutte abgebogen. Vor uns liegt die wunderbar kurvige Strecke über Schloss Linderhof und am Ufer des Plansees entlang. Das Wetter ist mittlerweile perfekt, wir lassen es fliegen. BMW ist für seine mäßigen Motorradgetriebe berühmt, und die GS macht da keine Ausnahme. Die Wege sind lang, die Gänge rasten unpräzise ein, besonders das Herunterschalten in den zweiten Gang will oft nicht klappen. Erst später begreife ich, dass man das BMW-Getriebe einfach härter treten muss als die Yamaha-Schaltbox, die ebenfalls nicht ein Muster an Schaltkomfort ist. Hinter Reutte biegen wir ab in Richtung Fernpass, den wir aber in Bichlbach schon wieder verlassen, denn hier kommt der Höhepunkt unserer Tour, das Namlos-Tal. Kurve reiht sich an Kurve, das Wetter ist perfekt und die BMW kann zeigen was sie drauf hat. Souverän zieht sie in die Kurven, das Drehmoment selbst aus niedrigen Drehzahlen reicht aus, um einen aus jeder Serpentine wieder rauszuziehen. Allein die Stollenreifen finde ich etwas indifferent, hier hätte ich lieber die Pilot Road 2 von meiner TDM. In Rinnen gibt es eine Baustelle, über mehrere hundert Meter ist die Straße unbefestigt. Ernsthaftes Gelände ist das nicht, aber die GS pflügt komplett unbeeindruckt über die Kiespiste, meine TDM würde jetzt rumeiern. In Stanzach ist die Namlos-Straße zuende, wir kehren ein und essen Mittag. Oliver, der offenbar glaubt, die GS sei meine, ruft mich auf, ich sollte mich in den Kurven durchaus was trauen, „die GS kannst Du in die Kurve legen, bis hinten der Gepäckträger aufsetzt.“ Erst als ich ihm erkläre, dass die Maschine nicht mir gehört und ich sie heute das erste Mal fahre, hat er ein Einsehen. Grundsätzlich klappt die Verständigung mit den Jungs prima. Sie fahren voraus – und warten einfach alle 20 Kilometer mal eine Minute auf mich.
Nach dem Essen geht es zurück in Richtung Namlos. In der vierten Kurve sehe ich die Kollegen plötzlich am Rand stehen, zusammen mit ein paar anderen Motorradfahrern. Eine BMW K1200S ist aus der Kurve geraten, den mit Moos bewachsenen Fels hochgefahren, drei Meter über der Straße umgekippt und liegen geblieben. Der dazugehörige Fahrer ist aufgeregt, aber so gut wie unversehrt, nur eine leichte Schürfwunde am Schienbein zeugt vom Bodenkontakt. Mit gemeinsamen Kräften schaffen wir die schwere Tourenmaschine wieder nach unten und richten sie auf. Auf den ersten Blick sind die Schäden übersichtlich: Bremshebel verbogen, eine Gummileiste abgerissen, ein paar Kratzer in der Verkleidung. Glück gehabt, das hätte auch anders ausgehen können. Danach, so berichten mir Dominik und Oliver später, sind sie auch erst mal betont vorsichtig weitergefahren.
Zurück geht es wie auf dem Hinweg, die Fernpass-Bundesstraße bis kurz vor Reutte, dann am Plansee lang und bis nach Garmisch. Von dort aus fahren wir über die B2 in Richtung Krün und Wallgau. Kurz vor Krün plötzlich Polizei auf der Straße, sie halten uns an, wir sind uns keiner Schuld bewusst. Die Beamte schauen auf unsere Nummernschilder und winken uns durch – offenbar haben sie andere Motorradfahrer gesucht als uns. Hinter Wallgau biegen wir ein in die Mautsraße nach Jachenau. Ich wäre gern den Kesselberg gefahren, doch Oliver muss noch bis nach Rosenheim, deshalb unser Abzweig nach Osten. Inzwischen ist es bereits 18 Uhr, ich mache mir Sorgen, dass sich meine Frau Sorgen macht. Anrufen kann ich sie nicht, im Wald habe ich kein Netz.
Über 300 Kilometer bin ich jetzt mit der GS gefahren. Langsam gewöhne ich mich an ihre Eigenheiten. Alles muss ein bisschen nachdrücklicher gehen: Der Motor springt nur an, wenn man beim Starten einen ordentlichen Gasstoß gibt, das Getriebe verlangt einen festen Tritt, damit der erste Gang drin ist, bei der Vorderradbremse kann man ruhig etwas reinlangen. Die Hinterradbremse, die ich bei der TDM fast immer aus Gewohnheit etwas mittrete lasse ich bei der BMW fast völlig in Ruhe. Erstens ist ihre Wirkung recht übersichtlich, zweitens komme auch ich kaum an das Pedal heran. Und die GS nimmt die feste Hand nicht übel. Sie ist halt ein Traktor, sie kann das ab.
In Bad Tölz trennen sich unsere Wege, Oliver biegt in Richtung Rosenheim ab, Dominik und ich fahren zurück nach München. Auf den restlichen 50 Kilometern kenne ich fast jeden Meter – die Strecke von Tölz über Dietramszell, Egling, Deining und Schäftlarn ist meine Hausstrecke. Ich merke aber auch, wie meine Konzentration langsam nachlässt. Jetzt auf den letzten Kilometern nicht noch Scheiße bauen.
Zurück bei Dominik, Umsteigen auf die TDM. Jetzt wird der Kontrast zur GS überdeutlich: Auf der TDM sitze ich quasi eingemauert zwischen Tank und Sitzbank, auf der GS kann ich hin- und herrutschen. Gemessen am kernigen Boxer läuft der Paralleltwin der TDM wie ein Elektromotor, dreht geschmeidig hoch und entwickelt dort, wo der BMW langsam die Puste ausgeht, erst richtig Druck. Erst als ich das TDM-Getriebe schalte, fällt mir wirklich auf, wie schlabberig sich doch der Gangwechsel bei der GS anfühlt. Und die Bremsen der TDM sind einfach eine andere Liga. Interessant, dass sich haufenweise TDM-Fahrer die Bremsen des Yamaha-Supersportlers R1 an ihre Maschine bauen – es scheint also noch eine dritte Liga zu geben, die ich noch nicht ausprobiert habe.
Eine GS mit ordentlicher Bremse und schöneren Instrumenten, das wär’s. BMW hatte bis Mitte der 90er ein solches Motorrad im Programm, die R100R. Sie wird hoch gehandelt, unter 5.000 Euro gibt es selten eine schöne Maschine zu kaufen. Wohl gemerkt, wir reden von einem Motorrad, das im besten Falle 15 Jahre alt ist und 50.000 km auf der Uhr hat. Oder gleich eine R1100GS, die erste GS mit Vierventil-Boxer, mit Telelever-Vorderradaufhängung, mit ABS und dem berüchtigten elektrischen Bremskraftverstärker? Vielleicht sollte ich mal eine Probe fahren.
Update: Inzwischen habe ich erfahren, dass der umstrittene elektronische Bremskraftverstärker, der unter dem Namen "Integral ABS" von BMW verbaut wurde, nicht in der R1100GS eingesetzt wurde, sondern erst ab 2002 im Nachfolgemodell R1150GS angeboten wurde. Unter vielen GS-Fahrern gelten deshalb die R1150GS-Modelle, die vor dieser Zeit, also zwischen 1999 und 2001 gebaut wurden, als die besten Offerten.
Donnerstag, 7. Mai 2009
Unterschreiben gegen "Zensursula"
Bis heute haben 44057 Menschen die Petition unterzeichnet - ich auch. Damit ist sie die bislang mit Abstand erfolgreichste Online-Petition, die beim Bundestag eingereicht wurde.
Warum haben wir unterschrieben? Sind wir etwa für Kinderpornografie? Wollen wir etwa unsere heldenhafte Familienministerin in ihrem Kampf