Darf man - während die Welt sorgenvoll nach Japan blickt und sich fragt, ob dort eine Katastrophe im Gang ist, die Tschernobyl noch in den Schatten stellen könnte - mit seinen Gedanken abschweifen und einfach einen Tag lang Spaß haben mit seinem neuen Spielzeug?
Ich finde: Ja. Die armen Japaner hat es extrem hart getroffen. Aber es hilft ihnen keinen Jota, wenn ich sorgenvoll zuhause sitze und zweiminütlich die diversen News-Seiten im Internet refreshe. Wer diese Haltung zynisch findet, der möge an dieser Stelle bitte mit dem Lesen aufhören.
Denn ich hatte diesem Samstag einen genialen Tag, mit meinem neuen Spielzeug und mit drei Spielkameraden. Nachdem ich mit meiner neuen BMW R1100GS bislang nur wenig gefahren bin, traf ich mich mit ein paar Kumpels aus dem TDM-Forum.
Die Voraussetzungen sind perfekt: Meine neue GS steht seit Faschingsdienstag auf neuen Reifen (Metzeler Tourance EXP), sie hat frisches Öl und neue Bremsflüssigkeit im Leib, ein neuer Kupplungszug macht das Kuppeln zum Vergnügen, und das Navi, das ich bereits an meiner Yamaha hatte, werkelt jetzt an der BMW. Die hässliche Topcase-Adapterplatte auf dem Gepäckträger ist ab (braucht noch einer ein Topcase? Bitte
Mail!), statt dessen ist der originale Haltebügel wieder dran. Außerdem habe ich den Soziussitz abgenommen und statt dessen eine Tasche auf dem Rahmen befestigt, in der meine Regenklamotten auf ihren Einsatz warten (und das Ösi-Verbandspaket, das ich hoffentlich nie brauchen werde). Zwei weitere Sorgen haben sich vor der Tour in Luft aufgelöst: Das ABS besteht jetzt wieder den Selbsttest nach dem Start, nachdem mein Mechaniker die Ansteuerung geändert hat - und meine gute alte TDM ist vom Hof, am Tag zuvor hat sie ein netter Mensch gekauft, bar bezahlt und mitgenommen. Möge sein Spaß an ihr riesengroß sein.
An diesem Samstag sitze ich kurz vor neun auf der GS und drücke den Startknopf. Schüttelnd erwacht der 1083 ccm große Zweizylinder-Boxer zum Leben. Die ABS-Warnlampen blinken im Takt, das Antiblockiersystem ist im Selbsttest-Modus. Nach wenigen Metern ist ein scharfes Klacken zu hören, die Lampen gehen aus, das ABS ist aktiv. Im Navi habe ich eine Adresse in Markt Indersdorf eingegeben, eine knappe Stunde Fahrt rechnet der elektronische Lotse vor.
Seitdem ich das neue Motorrad habe, bin ich etwa 250 Kilometer damit gefahren, dennoch ist noch vieles ungewohnt. Zum Beispiel die Betätigung der Blinker, mit je einem Schalter links und einem rechts, und dazu noch einem Rücksteller rechts, nicht zu verwechseln mit der Hupe, die ist links. Wenigstens vergesse ich nicht, den Blinker nach der Kurve zurückzustellen, denn die Blinkerkontrollampen sind hell und auffällig. Mit jedem Kilometer merke ich, wie ich mich mehr an die GS gewöhne. Das leichte Abkippen in die Kurven, was mich zuerst noch irritierte, wird inzwischen als Wendigkeit dankend zur Kenntnis genommen, das leichte Eigenleben an der Hinterhand, das mir zunächst etwas Unsicherheit verschaffte, erweist sich als harmlose Lastwechselreaktion des Kardans.
Ich lande schnell in Markt Indersdorf bei Hans, einem geschätzten Mitglied des TDM-Forums und bekennendem Lästermaul. Die Straße vor seinem Haus sei unbefestigt, hatte er zuvor gepostet, ob das denn meine BMW auch schaffen würde...
Hans packt seine Frau Moni hinten auf seine Yamaha TDM 900 und fährt voran in Richtung Neuburg an der Donau, dort treffen wir an einer Esso-Tankstelle auf Hilmar, der mit seiner neuen Yamaha YZF 1200 Super Ténére da ist, Yamahas Antwort auf die große GS und Objekt der Begierde für viele TDM-Fahrer. Wir fachsimpeln ein Weilchen, trinken einen Kaffee, dann geht es los Richtung Kipfenberg. Dort geht es plötzlich über eine kleine, kurvige Seitenstraße steil einen Hügel hinauf, zum Denkmal für die geografische Mitte Bayerns, die sich hier befindet. Wir posieren für ein Gruppenfoto, als mich eine SMS erreicht: In einem japanischen AKW droht ein GAU, es hat sich eine Explosion ereignet. Hilmar hat bereits in verschiedenen Kraftwerken gearbeitet. Er beruhigt uns - das sei bestimmt nicht so schlimm, wie es aussieht. Sein Wort in Gottes Ohr.
Danach brechen wir wieder auf und fahren über die Jura-Hochstraße nach Eichstätt. Die beiden Kollegen fahren zügig und routiniert, aber nicht auf der letzten Rille. Tempolimits werden so interpretiert, dass auch eine Radarfalle nicht den Rest des Tages ruinieren würde. Und ich wundere mich über Moni. Sie folgt mit ihrem Körper so genau den Bewegungen von Hans, dass man von hinten gar nicht erkennen kann, dass sie zu zweit auf dem Motorrad sitzen - ein perfektes Team.
In Eichstätt fahren wir hoch zur Willibaldsburg. Es ist ein komisches Gefühl, mit dem Motorrad die steile Anfahrt zum Burginnenhof hochzufahren - als wir oben ankommen, sind wir fast allein dort. Aber die Wirtschaft hat schon offen, wir dürfen uns an den Stammtisch setzen und genießen die Frühlingssonne. Während wir Brotzeit machen, füllt sich der Hof, mehr und mehr Ausflügler - darunter auch viele Motorradfahrer nutzen die Gelegenheit und genießen den tollen Ausblick. Zeit für uns, unsere Kräder zu satteln und den sportlichen Teil des Tages zu beginnen. Doch zuvor braucht meine GS noch etwas Sprit. Wie viel sie genau verbraucht, konnte ich noch nicht ermitteln, aber der etwas größere Tank gegenüber der TDM gibt ihr mehr Reichweite.
Dann übernimmt wieder Hilmar die Führung und wir folgen der Altmühl über Dollnstein bis nach Treuchtlingen. Das ist eine der schönsten Motorradstrecken Oberbayerns, und uns kommen jede Menge motorisierte Kollegen entgegen. Die Kurven sind durchaus anspruchsvoll, aber speziell verkleidete Leitplanken zeigen, dass sich jemand um die Sorgen der Motorradfahrer gekümmert hat. Die Kollegen legen ein ordentliches Tempo vor, das ich aber halten kann. Das Schöne beim Fahren mit Guide ist, dass man sich um die Route nicht kümmern muss. Der Nachteil: irgendwann weiß ich nicht mehr, wo ich bin. Eine Kurve reiht sich an die andere, so langsam komme ich in den Flow.
Irgendwann ist es genug. Schließlich müssen wir auch noch nach Hause kommen. Über Monheim und Schweinspoint (den Ort gibt es wirklich) landen wir in Marxheim, wollen noch in Ruhe einen Kaffee trinken. Mittlerweile ist es 16 Uhr nachmittags, Marxheim hat komplett die Bürgersteige oben und mein Navi weist mich dezent darauf hin, dass es noch mehr als 110 km bis nach hause sind. Ich empfehle mich und trete die Rückreise an.
Das Navi leitet mich über die B16 und B13 in Richtung München. Nicht besonders anspruchsvoll zu fahren, aber man kommt voran. Hinter Pfaffenhofen an der Ilm weiche ich vom Kurs ab und folge einer Strecke, die ich vor über zehn Jahren oft gefahren bin - als Testredakteur einer Lkw-Zeitschrift. Über Scheyern, Triefing, Habertshausen, Priel, Petershausen und Hohenkammer lande ich schließlich in Unterschleißheim-Lohhof. Dort fahre ich auf die Autobahn und lasse die GS laufen. Über 180 schafft sie mit mir schwerem Kerl oben drauf - schneller muss es auch nicht gehen. Als ich zuhause ankomme, ist es viertel vor sechs. Rund 350 Kilometer bin ich an diesem Tag gefahren. Und ich weiß, was ich getan habe.