Was bisher geschah: Ich bin eigentlich ganz gut BMW-gebranded, fahre seit zehn Jahren ein BMW 3er Cabrio, habe dessen Designer schon einmal live interviewt, lebe in der Heimat von BMW und habe dort studiert, wo die BMW-Motorräder gebaut werden. Mein Verhältnis zur BMW-Vertriebsorganisation ist, sagen wir mal,
nicht das beste. Die Werksniederlassung, die bis vor etwa acht Jahren das Privileg hatte, an meinem Cabrio schrauben zu dürfen, hat sich dieses Prvileg durch Rechnungen in exorbitanter Höher verscherzt, denen kein entsprechender Arbeitseinsatz gegenüber stand. Und meinen Annäherungsversuchen an die Marke BMW als Motorradlieferant stand schon mehrmals das Desinteresse der Fachberater im Motorradzentrum am Frankfurter Ring im Weg. Dennoch tät mich so eine BMW durchaus anlachen. Neulich ergab sich die Gelegenheit, mit der
R100GS eines Kumpels ein paar hundert Kilometer zu fahren. Der Trip machte Lust auf mehr. Dann poppte meine Adresse im Customer-Relationship-Management-Menü des BMW-Außendienstes auf, und man rief mich an und fragte ob ich noch wunschlos glücklich sei. Am Ende des Gesprächs stand eine Einladung zu einer Probefahrt mit einer BMW R1200GS.
Aufmerksame Leser meines Blogs wissen das alles ja bereits.
Heute morgen um zehn soll meine Probefahrt mit der R1200GS stattfinden – um acht fängt es zu regnen an. „Ich könnte mir eine gebrauchte R1150GS oder eine R1200GS vorstellen“, hatte ich der Frau am Telefon gesagt, und sie hatte geantwortet, eine 1200er sei gerade da. Während ich also meine brave TDM 850 durch den Nieselregen gen Norden treibe, frage ich mich, wie alt wohl die Gebrauchtmaschine sein wird, die man für mich reserviert haben. Wäre sie in finanzieller Reichweite? Was würden sie mir wohl für meine TDM noch geben? Nicht träumen, der Ring ist auf 60 beschränkt!
Um viertel vor zehn parke ich meine TDM neben einem chromblitzenden Yamaha-Chopper, vor dem BMW-Motorradzentrum, das seit der Übernahme der Geländemotorradmarke Husquarna beide Marken an der Fassade führt. Die professionell-schöne Blondine am Info-Counter schickt mich durch die Halle: „Probefahrt, bitte dort hinten gleich rechts“.
Dort ist der Schalter der BMW-Motorradvermietung, eine selbstständige Firma namens
„bike-travel-service“. Eine Probefahrt mit einem Motorrad läuft offenbar anders ab als mit einem Auto: man bekommt einen Kurzzeitmietvertrag, in dem genau Vorschäden, Selbstbehalt bei Unfällen, Freikilometer und Tankinhalt vermerkt sind. Mal so eben sagen „Die gefällt mir, kann ich damit mal ne Runde drehen“, das läuft nicht, zumindest nicht bei BMW. Man macht mir klar, dass ich im Fall des Unfalls 700 Euro Selbstbehalt habe, dass 100 km frei sind, dass ich die Maschine vollgetankt bekomme – und sie doch bitte ebenso zurückgeben möchte. Doch erst einmal werde ich um Geduld gebeten: Zwei spanische Touristen haben sich schwere Tourer gemietet und brauchen noch etwas Routen-Beratung. „Gehen Sie doch einfach dort rüber und trinken Sie einen Kaffee“ – die BMW-Niederlassung hat ein integriertes Bistro. Ich will keinen Kaffee, sondern ein Mineralwasser – und bekomme es nach Zahlung von 1,60 Euro. Irgendwie haben die bei BMW interessante Methoden der Kundengewinnung, nein wirklich.
Die Maschine: Alles drin, alles dran
Endlich bin ich dran: Führerschein und Perso werden kopiert, ein Vertrag unterschrieben: „Kommen Sie dich schon mal nach draußen, ich hole mal eben die Maschine“ Die R1200GS, die wenige Minuten später gebracht wird, ist keineswegs ein Gebrauchtmotorrad zum Kaufen, es ist eine nagelneue Maschine aus dem Miet-Pool. Wie meine TDM hat diese R1200GS zwei Räder und zwei Zylinder – damit enden die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon. Die aktuelle GS hat einen 1200 ccm großen Boxermotor mit 105 PS, das sind 350 Kubikzentimeter und 27 PS mehr als bei meiner TDM – allein die Differenz wäre genug für ein separates Motorrad. Die BMW hat sechs Gänge statt fünf, Kardan- statt Kettenantrieb, Boxer statt Reihentwin. Außerdem ist sie mit Extras vollgepackt: ABS, ASR, FID und ESA. ABS ist klar, ASR ist die Antischlupfregelung, die das Hinterrad am Durchdrehen hindern soll, das Fahrer-Informationsdisplay enthält einen Bordcomputer und eine Ganganzeige. Wirklich cool ist ESA, die elektronische Federeinstellung. Per Knopfdruck am Lenker kann man – bei Bedarf auch während der Fahrt – die Federbasis am vorderen und hinteren Federbein verstellen, etwas, was bei anderen Motorrädern entweder gar nicht möglich ist oder den Einsatz von Werkzeug erfordert. Auf gut deutsch: Runde 15.000 Euro (wenn das mal langt) sind zur Abfahrt bereit.
Groß ist die 12er GS, größer und höher als meine TDM. Der Fahrersitz ist in der höchsten Position, gegen Aufpreis gibt es noch eine höhere Einstellung. Das Aufsteigen ist ungewohnt, aber dann stellt sich spontan ergonomisches Wohlgefühl ein: Ich sitze nahezu perfekt. Wenn das meine wäre, würde ich mir noch die hohe Sitzbank holen und dann würde das passen wie für mich gemacht.
Zwei Stunden Zeit habe ich, um der GS auf den Zahn zu fühlen. Mein Plan: Über den Mittleren Ring auf die A95 in Richtung Garmisch, in Schäftlarn abfahren und dann über Deining und Dietramszell bis nach Bad Tölz. In Tölz umdrehen und auf dem Rückweg nach Westen orientieren, um irgendwo bei Wolfratshausen wieder die Autobahn zu erwischen. Die Strecke kenne ich aus dem Effeff, ich bin sie mit der TDM schon dutzendfach gefahren.
Ich bin startbereit – und ein wenig aufgeregt: Wie fährt sich der große, starke Brocken, und werde ich ihn heil zurückbringen? Doch erst einmal wuchte ich das Gerät vom Hauptständer, woraufhin es weich in die Federn sinkt. Dann der Druck auf den Anlasser: Was bei der 20 Jahre alten R100GS noch ein archaischer Vorgang hart an der Verschleißgrenze der beteiligten Komponenten war, läuft hier seltsam synthetisch ab: Der 1,2 Liter große Motor springt an, schüttelt sich dabei einmal verhalten und fällt daraufhin sofort in einen elektronisch kontrollierten, absolut gleichmäßigen Leerlauf. Klang? Fehlanzeige. Wie meine TDM klingt die 1200GS nicht, sie macht nur ein Geräusch. Und das ist leiser als bei meiner TDM. Derweil unterhält mich das FID mit irritierenden Lichtsignalen: Ein rotes Warndreieck leuchtet auf, wird dann gelb und verlischt – aha, das war wohl irgendein Bordcheck. Daneben ist ein rotes Brems-Warnsignal zu sehen. Das geht aus, sobald man schneller als Schritttempo fährt, das braucht das ABS, um sich zu kalibrieren. Eins ist klar: Wer „Motorradfahren“ mit den Begriffen „klassisch“ und „traditionell“ assoziiert, sollte sich nicht auf eine R1200GS setzen.
Der erste Gang geht nicht auf den ersten Tritt rein, einmal Kupplung auf und zu, dann noch mal versuchen und es geht. So, jetzt die Kupplung kommen lassen und elegant vom Hof. An der Ausfahrt mache ich erste Bekanntschaft mit einem Streitobjekt: Den drei Blinkerschaltern der aktuellen Boxer-Generation. War der Blinkerschalter der alten R100 schlicht scheiße, wollte man hier die ingenieursmäßig perfekte Lösung schaffen und verbaute drei Hebel. Einen Druckschalter an jeder Lenkerseite – links drücken, links blinken – und einen separaten Schalter zum Ausschalten der Blinker. Wenn man erst einmal begriffen hat, in welche Richtung man den Ausschalter drücken muss, kommt man damit klar. Und wenn nicht, auch egal: nach 300 Metern schaltet die BMW die Blinker von allein wieder aus.
Laut und schnellAuf dem Weg zur Autobahn habe ich erste Gelegenheit, mich an das große Krad zu gewöhnen. Ich sitze bequem, habe alles im Griff, die GS ist die Ruhe selbst. Allerdings, das merke ich schon nach wenigen hundert Metern, ist mir keine Ruhe vergönnt: Das serienmäßige Windschild aus Plexiglas sorgt für heftige Windgeräusche, die ab 70 km/h alle anderen Fahrtgeräusche überlagern. Am Luise-Kiesselbach-Platz geht es auf die Autobahn, ich fühle mich schon recht wohl auf der Maschine. Das lärmende Windschild und die Griffprotektoren halten mir effektiv den Wind vom Leib. Wenige Kilometer später wird die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben - na, dann wollen wir mal keine Zeit verlieren. Ein entschlossener Dreh am Gasgriff macht deutlich, dass die 105 PS nicht nur im Prospekt stehen: Nach wenigen Momenten habe ich 170 km/h auf dem Tacho. Was auf der TDM schon ein grenzwertiges Vergnügen wäre, lässt sich auf der großen GS durchaus aushalten – mit der Ausnahme, dass die Windgeräusche ohrenbetäubend laut sind. Dann will ich’s wissen und beschleunige auf 200. Auch bei dieser Geschwindigkeit liegt die Maschine stabil wie ein Panzer auf der Straße – und wenige Minuten später kommt die Abfahrt Schäftlarn.
Das Fahrwerk: erste SahneDas Fahrwerk der GS wird von den meisten Menschen gelobt und von wenigen kritisiert. Die Telelever-Vorderradführung ist nicht jedermanns Fall: Anders als bei einer normalen Telegabel werden hier die Aufgaben „Federung des Vorderrades“ und „Lenkung“ voneinander getrennt, was unter anderem dazu führt, dass eine GS beim Bremsen vorn weit weniger eintaucht als andere Motorräder. Manchen Motorradfahrern bietet dieses Konzept zu wenig Feedback und macht sie unsicher. Mir geht es anders: Mir vermittelt das Fahrwerk viel Vertrauen, es funktioniert einfach unauffällig. Fährt gut, federt gut, zuckt nicht, zickt nicht. Schlaglöcher und Frostaufbrüche bleiben spürbar, aber sie martern mich nicht mehr. Das Fahren mit einer GS entwickelt etwas Selbstverständliches: Die Maschine fährt da lang, wo der Fahrer es will, leicht und spielerisch, was man angesichts der respektablen Größe des Motorrades zunächst kaum glauben will. Das bereits erwähnte ESA ist dabei das Tüpfelchen auf dem i, aber die Umschaltung der Fahrwerksmodi braucht man nicht unbedingt.
Der Motor: Kein CharakterkopfWie das Fahrwerk verschont mich auch der Motor mit Überraschungen: Drehe ich auf, zieht er los, gleichmäßig wie ein Elektromotor. Der Eindruck, den das Triebwerk hinterlässt, ist dennoch merkwürdig synthetisch. Natürlich habe ich immer genügend Kraft in allen Lebenslagen, aber sie wird irgendwie unbeteiligt dargeboten. Und: Der große Boxer braucht erstaunlich viel Drehzahl. Unter 3.000/min sollte man keine Wunder erwarten, bei 6.000 bis 7.000/min ist dann der nächste Gang dran. Die legendäre Kraftentfaltung ab Standgas – dieser Motor hat sie nicht. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass die GS irgendwie auch nicht mehr Bumms hat als meine TDM, bis ich merke, dass ich fast immer 20 Kilometer schneller fahre als es sich anfühlt. Zu diesem Eindruck trägt auch das unauffällige Funktionieren der Peripherie bei: Die Kupplung ist leichtgängig, das Getriebe schaltet sich prima (nur den Leerlauf blind finden ist nicht so einfach), der Motor hält sich mit Lastwechselreaktionen für meinen Geschmack sehr zurück, der Kardan tut sein Werk, ohne dass man was von ihm merkt. Nennt es Klagen auf hohem Niveau, aber irgendwie ist die Abwesenheit von Drehmomentspitzen, Heulen und Wimmern aus dem Kraftstrang und animalischen Lebensäußerungen aus dem Ansaugtrakt auch eins: Ein bisschen langweilig.
Natürlich hat es auch Vorteile, dass alles so schön perfektionistisch gemacht ist: Die Bremsen zum Beispiel sind eine Wucht. Sprechen fein an und lassen das Krad erbarmungslos ankern, wenn es die Situation erfordert. Dabei wirkt die Handbremse auf Vorder- und Hinterrad, die Fußbremse nur hinten. Puristen finden das nicht gut, ich kann keine Nachteile erkennen.
Nachdem ich in Tölz angekommen bin, fahre ich über Hechenberg und Geretsried in Richtung Autobahn, die Zeit wird knapp. Auf der Autobahn in Richtung München fängt es zu regnen an, und obwohl ich mit rund 160 km/h sehr flott unterwegs bin, hält das Windschild erstaunlich viel von der Witterung von mir ab. Zehn Minuten vor Ablauf der Leihfrist fahre ich zum Tanken: 7 Liter habe ich verbraucht und 133 km bin ich gefahren – nicht übel für so ein großes Gerät und die schnellen Autobahnetappen. Die Rückgabe bei BMW nimmt etwas Zeit in Anspruch, die ich mir mit Benzingequatsche mit anderen Verleihkunden vertreibe. Die große GS ist zweifellos ein tolles Motorrad ohne echte Schwächen. Aber etwas emotionaler könnte sie schon sein, vor allem der Motor. Das bestätigen mir auch meine Gesprächspartner. Mehr als den Sprit muss ich übrigens an diesem Tag nicht zahlen, man erlässt mir großzügig die zuviel gefahrenen Kilometer. Wenn man sich eine GS bei BMW für einen ganzen Tag mieten will, kostet das übrigens 135 Euro inklusive Vollkasko und 700 Euro SB. 300 Kilometer sind im Preis inbegriffen, jeder weitere kostet – autsch! – 70 Cent Aufpreis. Das ist happig für ein Motorrad, mit dem man an einem Tag locker das Doppelte fahren könnte.
EpilogDanach setze ich mich wieder auf meine TDM und fahre heim. Wie fühlt sich eine 17 Jahre alte Maschine mit einem Marktwert von 1.500 Euro an, wenn man vor einer halben Stunde auf einem zehn mal so teuren High-Tech-Wunder saß? Die TDM kann erstaunlich gut mithalten. Der Motor ist laufruhig und kann dennoch an jeder Ampel ein Spektakel entfachen, das dem der GS nicht viel nachsteht. Und die Abwesenheit des Windlärms ist angenehm – hätte ich so eine BMW, müsste ich auf jeden Fall mit dem Windschild was machen. Die Sitzposition auf der TDM ist schlechter als auf der großen GS, die Bremsen sind es auch. Bein jedem Stopp taucht die Yamaha vorn tief ein. Aber, und das ist mein Fazit: Meine TDM 850 ist in der Summe ihrer Qualitäten dichter dran an der nagelneuen R1200GS als an der 20 Jahre alten R100GS, die ich vor drei Wochen fuhr.