Dienstag, 6. Juli 2010

Re-Targeting: Die Methode Paranoid

"Wenn Du paranoid bist, dann heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind" lautet ein alter Spruch aus Soziopathen-Kreisen. Leute mit Anfälligkeit für Verfolgungswahn brauchen in diesen Tagen auf jeden Fall ein dickes Fell, wenn sie im Netz unterwegs sind. In einem Forum an einer Diskussion über ein Produkt teilgenommen, einer der Mit-Diskutanten postet einen Link auf einem Web-Shop, in dem das fragliche Produkt beworben wird, man klickt drauf - und schon verfolgt einen der Anbieter des Produktes mit Werbebannern, egal ob man jetzt Spiegel Online aufruft oder Motor-Talk.de. Und zwar wochenlang.

Praxis-Beispiel gefällig? Vor einiger Zeit nahm ich im Usenet an einer Diskussion teil, in der es darum ging, ein Mobiltelefon so umzubauen, dass man es als ferngesteuerten Schalter benutzen kann. Ich schlug vor, man könne alternativ auch eine IP-Steckdosenleiste verwenden, die man via Unternet ansteuert. Ein anderer Diskussionsteilnehmer war sich nicht sicher, ob er verstanden hatte, was ich meine. Er suchte im Netz nach IP-Steckdoesenleisten und wurde bei der Firma Conrad Electronic fündig. Er schrieb ein Posting, platzierte dort den Link zum verkaufsangebot hinein und fragte: "Meinst du so was in der Art?" Ich öffnete den Link, sah das Produkt, schloss die Website wieder und antwortete, ja, ein solches Produkt hätte ich gemeint.

Danach traf ich auf allen möglichen Websites auf Werbebanner von Conrad Electronic, die ich sonst eher selten sehe. Und aus dem überbordend großen Sortiment dieses Elektronik-Versenders wurden mir immer ausschließlich IP-Steckdosen angeboten. Mindestens zwei Wochen ging das so. Ich empfand das als ärgerlich. Sollte ich - was ich im Moment eher nicht glaube - jemals in meinem Leben eine IP-Steckdosenleiste kaufen, werde ich sorgfältig darauf achten, dies nicht bei Conrad zu tun.

Das Prinzip nennt sich Re-Targeting. Ein Internet-Nutzer ruft in einem Shop ein Produkt auf und verlässt dann den Shop wieder unverrichteter Dinge. Beim Aufruf des Produktes wird der Rechner des Nutzers identifiziert (vermutlich über ein Cookie), und in der Folgezeit wird auf diesen Rechner Werbung gespielt, die Produkte der Art bewirbt, die der Nutzer sich im Shop angesehen hat. Die Denke dahinter: "Er hat sich ja schonmal für das Produkt interessiert. Vielleicht überlegt er es sich ja noch einmal?" Auf viele Internet-Nutzer wirkt dieses einseitige Ad-Bombing lächerlich, ärgerlich oder gar verstörend. Und die Firma Neckermann.de beweist, dass man das an sich schon grenzwertige Tool Re-Targeting auch komplett bescheuert einsetzen kann.

Noch dümmer? Wie soll das gehen? Es geht so: Heute habe ich bei Neckermann.de ein Navigationsgerät für Motorräder bestellt. Ich hab's gekauft, jetzt baruche ich kein zweites mehr. Dennoch nimmt mich Neckermann.de seitdem via Re-Targeting unter Beschuss. Egal ob Spiegel online oder Motor-Talk.de (siehe Beweisfoto oben links), plötzlich hängen überall Neckermann-Banner herum, in dem mir Navigationsgeräte zum Kauf angeboten werden. Interessanterweise übrigens auch das, was ich schon gekauft habe. Was soll das?

Wenn Neckermann clever wäre, dann würden sie mir jetzt Zubehör zu meinem neuen Navi anbieten, sie würden glauben, dass ich gern durch die Gegend fahre - und mir entsprechende Angebote machen. Aber statt dessen meine Aufmerksamkeit mit Werbung für ein Produkt zukleistern, das ich gerade gekauft habe? Wie blöd ist das denn?

3 Kommentare:

  1. amazon ist auch nicht intelligenter. Du kaufst eine Digitaluhr, und die versuchen dir dann noch mehr Digitaluhren zu verkaufen. Oder einen Staubsauger und einen Yoghurtbereiter, weil zufällig noch zwei andere Kunden gleichzeitig einen Staubsauger und einen Yoghurtbereiter gekauft haben...

    AntwortenLöschen
  2. Ja, ganz heftig. Einmal dür die Mama zu Weihnachten nach einer CD der Humpflberger Wildbuam gesucht, und schon bekommt man Mutentenstadl-Musik bis an das Ende seiner tage angeboten. Der Unterschied zum Re-Targeting: Amazon verranstaltet den Zinnober nur auf seiner eigenen Seite und in den Werbe-E-Mails, die sie einem schicken und verfolgt einen nicht mit Werbebannern kreuz und quer durchs Netz.

    AntwortenLöschen
  3. Neckermann.de ist ohnehin indiskutabel, weil Brutalspammer:

    http://bombenlegenleichtgemacht.wordpress.com/

    AntwortenLöschen