Endlich ist es so weit: Gestern hat Elon Musk den lang
erwarteten SUV der Marke Tesla vorgestellt. In der zweiten Jahreshälfte 2016,
also deutlich später als angekündigt wird das Fünfmeter-Zweitonnenauto mit Elektroantrieb
in den Verkauf gehen. Die Tesla-Fangemeinde ist schon jetzt elektrisiert und
spart nicht mit Vorschusslorbeeren. So schafft es das US-Portal Trusted
Reviews, einen kompletten Artikel über das Auto zu schreiben, der exakt keine
auch nur im Ansatz kritische Aussage enthält.
Ich sehe das Model X etwas differenzierter. Es zeigt in
aller Deutlichkeit, dass auch ein Elon Musk nicht zaubern kann. Denn das Model
X ist alles mögliche, nur weder eine Revolution noch dusruptiv. Es löst nicht
die Probleme, unter denen die Akzeptanz von Elektroautos heute noch leidet. Stattdessen
liefert es Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat.
Aber der Reihe nach. Rein technisch gesehen ist das Model X
eine höher gelegte SUV-Karosserie auf Basis des seit 2013 verkauften Model S.
Dessen Chassis, es wird übrigens vom deutschen Zulieferer Continental gebaut,
bekam einfach einen höheren Aufbau. Daraus folgt, dass der X nicht
geländegängiger oder in irgendeiner Weise fahraktiver ist als der S. Ist das
ein Nachteil? Keineswegs. Auch BMW baute seinen ersten X5 auf der Bodengruppe
des 5er BMW auf. Porsche Cayenne und Porsche Panamera teilen sich eine
Plattform, Golf und Tiguan ebenfalls. Vom Model S übernimmt der X den Vorteil
des „Frunk“, eines Kofferraums unter der Fronthaube. Die E-Motoren des X sind
recht klein, die Batterien sitzen unter dem Boden, deshalb ist vorn Platz für Gepäck.
Das muss es auch, denn innen lässt sich der X (wie der S) mit bis zu 7
Sitzplätzen ausstatten. Das sind mehr als bei vielen Wettbewerbern mit
Verbrennungsmotor. Allerdings sind in der Praxis Autos selten mit mehr als zwei
Personen besetzt. Die meisten Sitze des Tesla werden also kaum benutzt.
Zu den aufregenden Neuheiten des X gehören die „Falcon
Wings“, Flügeltüren, die den Zugang zu den hinteren Sitzen ermöglichen. Als
Vorteile für diese Türen nennt Tesla, dass sie auch dann öffnen, wenn neben dem
Auto kein Platz ist. Außerdem schwingen sie so hoch, dass ein Erwachsener
aufrecht stehen kann, während er etwa ein Kind in einen Kindersitz schnallt.
Die Türen bewegen sich elektrisch, und Sensoren ändern ihren Öffnungswinkel,
wenn sie feststellen, dass über dem Auto nicht genug Platz ist. Das liest sich
auf den ersten Blick gut, auf den zweiten nicht mehr so ganz. In Kalifornien
mag es kein Problem sein, wenn bei jedem Öffnen der Tür ein riesiges Loch im
Dach mitöffnet, aber in regenreichen Gegenden wird es dann schnell feucht auf
den billigen Plätzen. Und wenn oben nicht genug Platz ist, wohin schwenken die
Türen dann? Und wer in einer Wintersportregion lebt, muss sich unwillkürlich
fragen, wo man bei diesem Auto eigentlich den Dachträger mit dem Jetbag drauf
montieren kann. Tesla offeriert einen Heckträger, an dem man Snowboards
festklemmen kann, doch wer einmal mit so was 200 Kilometer durch verschneite
Straßen gefahren ist, der wünscht sich eine Box auf dem Dach.
Zu den Features der Rubrik „Antworten auf Fragen, die nicht
gestellt wurden“ gehören die Frontscheibe und die Belüftungsanlage. Die
Frontscheibe geht nahtlos ins Dach über und endet erst auf Höhe der B-Säule.
Die Frontpassagiere sitzen also komplett unter Glas. Das mag man toll oder
weniger toll finden. Nur wenige Leute wissen, dass Opel bereits vor Jahren eine
solche Scheibe als Extra im Astra Coupé angeboten hat. Diese Tatsache ist unter
anderem deshalb nahezu unbekannt, weil kaum ein Astra-Kunde diese
Panoramascheibe haben wollte. Vielleicht sitzen kalifornische Tesla-Käufer
lieber an der Sonne. Die Belüftungsanlage des Tesla X ist mit hochwirksamen
Filtern versehen, die Musk bei der Präsentation allen Ernstes als „Schutz gegen
Biowaffen“ anpries. Er versprach, dass die Luft im Inneren des Tesla X einen
Reinheitsgrad besäße, der dem der Luft in einer medizinischen Einrichtung
gleich käme. Das ist gewiss kein Nachteil. Andererseits habe ich noch nie von
einem Fahrer eines Oberklasse-Autos Klagen über den Grad der Luftreinhaltung
gehört. Hier wurde – offensichtlich aus PR-Gründen – ein Problem gelöst, das
keines ist. Ähnlich sehe ich die selbst öffnende und schließende Fahrertür. Das
Auto soll seinen Fahrer erkennen, die Tür öffnen und hinter ihm automatisch
wieder schließen. Auch das eine Lösung für ein Nicht-Problem.
Was Tesla hingegen auch beim Model X versäumt hat: Das
Fahrzeug ist weder leichter noch kompakter noch billiger als das Model S, im
Gegenteil. Seine Reichweite ist immer noch ordentlich für ein Elektroauto, aber
kümmerlich für ein SUV. Die Beschleunigung ist enorm – Tesla verspricht 3,2
Sekunden von 0 auf 96 km/h (60 mph). Doch wer braucht wirklich einen SUV, der
dermaßen brutal beschleunigt? Dafür liegt der Kaufpreis bei über 100.000 Euro,
dem Vierfachen des Durchschnittspreises eines Neuwagens in Deutschland.
Der Tesla X wird sich vermutlich – nach Tesla-Maßstäben
gemessen – ganz gut verkaufen. Vielleicht sogar besser als so mancher alberne
Macho-SUV, dessen Existenz Elektroautofans sonst am liebsten verdrängen. Aber
er wird die Elektromobilität nicht vorantreiben, denn er löst kein einziges
Problem, das das Model S bereits gehabt hat. Und anders als das Model S wird
der X Konkurrenz bekommen. Audi hat für 2018 einen E-SUV mit einer Reichweite
von 500 km angekündigt. Auf den wird die Welt auch nicht gewartet haben, aber
leichter macht der Audi Tesla das Spiel auch nicht.
Was hätte Tesla tun müssen, um mich zu begeistern? Auf jeden
Fall nicht das, was sie jetzt getan haben, nämlich einen SUV auf
Limousinenbasis zu bringen. Ich warte auf das kompakte Auto mit den Abmessungen
eines VW Touran, vielleicht außen noch etwas kleiner, dafür innen größer. Mit
einer Reichweite von 350 km ohne wenn und aber, also auch bei flottem
Autobahntempo, und zu einem Preis von nicht mehr als 30.000 Euro. Ein solches
Auto hätte das Zeug, die Konkurrenten nervös zu machen. Oder warum nicht ein
Lieferwagen mit Frontlenker-Karosserie auf Basis des Tesla S? Leistung radikal
beschnitten, weil 130 km/h Spitze und 10 Sekunden von 0 auf 100 für einen
Lieferwagen locker reichen, dafür ein innovatives Lade- und Entladesystem für
die Ladung an Bord – und alles schon als Basis für zukünftige, autonom fahrende
Lieferdienste ausgelegt. Auch das hätte die Phantasie der Tech-Blogger
beflügelt.
Aber das Model X? Das
hätte jeder machen können.
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